Cyberabad: Roman (German Edition)
geschossen«, ruft Thal zurück, als sie zu den Aufzügen gehen.
Es ist nie wie in den Filmen, denkt Najia Askarzadah, als der Glaslift gleich einer Perle aus Licht herunterfährt. Eigentlich hätten sie sich mit Beva-Feuerkraft und Hikicks vorkämpfen müssen, sich im Sprung drehen, mit Martial-Arts-Action in Zeitlupe. Die coole Heldin hätte nicht ihre Eltern in Schweden anrufen müssen, um sie zu bitten, ihr das Bestechungsgeld zu überweisen. Die einzige Action, die Najia gesehen hat, war der Moment, als Pande das dicke Bündel Geldscheine durchblätterte. Trotzdem ist es eine seltsame kleine Konspiration, aber eher Bolly- als Hollywood.
Über die gläsernen Wände des Metasoap-Flügels strömt der Regen. Er hat eingesetzt, als das Taxi, das sie für den ganzen Tag gemietet haben, vor Indiapendent Productions eintraf. Der Parkplatz war eine Basti aus Hütten, die man mit Ziegelsteinen und Pappe errichtet hat, und Gruppen aus unerschütterlichen Soapi-Fans, die sich unter Plastikfolie zusammenkauerten.
»Sie kommen jedes Mal zu einer Hochzeit hierher«, erklärte Thal. »Es ist wie eine Religion. Lal Darfan liefert zuverlässig. Die PR sagt, ihm würden zwanzig Wundergeburten zugeschrieben.«
Thal eilt mit Najia an den Arbeitskabinen aus dunklem Holz vorbei bis zur letzten Workstation. Ys zieht zwei Stühle heran, loggt sich ein – »Anders geht es nicht, Baba« –, öffnet den Rundumbildschirm und katapultiert sie nach Brahmpur, der titelgebenden Stadt aus Indiapendents erfolgreichster Soapi.
Thal schleudert Najia durch die Straßen und Galis, die Ghats und Einkaufszentren dieser virtuellen Stadt. Najia wird schwindlig. Die Szenerie ist detailliert ausgearbeitet, bis hin zu den Reklameschildern und den wimmelnden Phatphats. In Brahmpur ist genauso Nacht wie in Varanasi, und es regnet. Der Monsun hat auch diese imaginäre Stadt erreicht. Najia ist viel zu stolz, um sich jemals eine komplette Episode von Stadt und Land angesehen zu haben, aber selbst als Neo erkennt sie, dass es ganze Stadtviertel gibt, die nie von der aktuellen Handlung benutzt werden. Dennoch hat man die Illusion liebevoll aufgebaut und verwendet Exabytes Prozessorleistung darauf, einfach nur, um den Rest zusammenzuhalten. Thal hebt die Hände, und ihr Djinn-Flug wird schlagartig vor einem baufälligen Haveli am Flussufer gestoppt. Najia hat das Gefühl, sie könnte den zerbröckelnden Putz berühren. Eine Mudra, und sie dringen durch die Wand in den großen Hauptsaal des Nadiadwala-Haveli ein.
»Wow«, sagt Najia Askarzadah. Sie kann die Risse im Bezug der niedrigen Ledersofas sehen.
»Oh, das ist gar nicht das reale Brahmpur«, erklärt Thal. Eine weitere elegante Geste, und alles wird verschwommen in der Zeit vorgespult. »Das heißt, das Ensemble glaubt es, aber wir nennen das hier Brahmpur B. Das ist die Metastadt, in der die Metasoap stattfindet. Ich spule uns nur bis zur Chawla-Nadiadwala-Hochzeit vor. Haben Sie das Video bereit?«
Aber Najia ist völlig benommen von den huschenden Geistern der künftigen Handlung in diesem stillen Raum. Tag und Nacht wechseln sich flackernd ab. Thal öffnet die Hand wie eine Klaue, dreht sie, und die Zeit verlangsamt sich zu einem Tuckern von Hell und Dunkel. Jetzt kann sie die Personen erkennen, die durch den eleganten, kühlen Marmorsaal sausen. Thal bremst den Zeitablauf weiter ab, und plötzlich strahlt der Saal von farbigen Wandbehängen. Thal drückt die offene Handfläche gegen die Luft, und die Zeit bleibt stehen.
»Hier, hier.« Thal schnippt ungeduldig mit den Fingern. Najia reicht ys ihren Palmer. Ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, transferiert ys die Daten. Ein Loch öffnet sich mitten im Raum und wird von N. K. Jivanjee ausgefüllt. Mit dosierten Fingerbewegungen holt Thal das Bild weiter nach vorn, bis es sich gut in den Hintergrund einfügt. Dann zieht ys einen Rahmen um die mit Stoffen behangene Wand, löst ihn aus N. K. Jivanjees Welt und wirft ihn ins falsche Brahmpur. Selbst Najia Askarzadah kann sehen, wie gut das Bild hineinpasst.
»Das hier befindet sich etwa sechs Monate in der Zukunft der Metasoap«, sagt Thal, während ys die Perspektive durch den Raum wandern lässt, um die erstarrten Hochzeitsgäste in ihrer Couture und die Chati-Mag-Reporter der Realwelt herum, die ihre beste fein texturierte Garderobe angelegt haben und auf die Ankunft des falschen Bräutigams auf seinem weißen Pferd warten. »Sie existieren in mehreren Zeitfenstern gleichzeitig.«
Najia
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