Cyberabad: Roman (German Edition)
ein wenig Pulver herausrieseln. »Siehst du? Du musst mir helfen. Hier gibt es noch sehr viel zu tun.«
Krishan fängt etwas Pulver auf und schnuppert daran. »Was tust du da? Das ist Unkrautvernichter!«
»Es muss weg, alles muss weg.« Parvati entfernt sich, streut Wolken aus weißem Pulver über die Hochbeete und Töpfe mit ertränkten Geranien. Krishan will nach ihrer Hand greifen, aber sie wirft ihm weißes Pulver ins Gesicht. Er zuckt zurück. Blitze flackern im Westen, in ihrem Widerschein packt er ihr Handgelenk.
»Das verstehe ich nicht!«, schreit er. »Du rufst mich mitten in der Nacht an, komm rüber, sagst du, ich muss dich jetzt sehen. Da draußen herrscht Kriegsrecht, Parvati. Soldaten auf den Straßen. Sie schießen auf alles ... ich habe es gesehen. Nein, ich will dir nicht sagen, was ich gesehen habe. Aber dann komme ich hierher und finde dich im Regen hocken, und das ...« Er hebt ihre Hand. Der Regen hat das Unkrautvernichtungsmittel zu weißen Streifen verschmiert, zum Negativ einer Henna-Hand. Er schüttelt ihren Arm, um wieder Vernunft in diesen Teil der Welt zu bringen, auf den er Zugriff hat. »Was soll das?«
»Es muss weg.« Parvati spricht tonlos, wie ein Kind. »Alles muss weg. Mein Mann und ich, wir haben uns gestritten, weißt du? Es war gar nicht so schrecklich. Gut, er hat gebrüllt, aber ich hatte keine Angst, weil er nur Unsinn gesagt hat. Verstehst du? Ich habe all seine Argumente gehört, aber sie ergeben überhaupt keinen Sinn. Also muss ich jetzt gehen. Weg von hier. Weil es hier nichts mehr gibt. Weg von hier, von Varanasi, von allem.«
Krishan setzt sich auf die Holzeinfassung eines Hochbeets. Eine Verwirbelung im Mikroklima weht einen Schwall Zorn aus der Stadt heran.
»Gehen?«
Parvati legt ihre Hände um seine. »Ja! Es ist so einfach. Varanasi verlassen, Bharat verlassen, fortgehen. Er hat meine Mutter weggeschickt, wusstest du das? Sie ist in irgendeinem Hotel, sie ruft immer wieder an, immer wieder, aber ich weiß, was sie sagen will, dass es hier nicht sicher ist und wie ich sie mitten in einer gefährlichen Stadt allein lassen konnte, ich muss kommen und sie retten, sie zurückbringen. Weißt du, dass ich nicht einmal weiß, in welchem Hotel sie ist?« Parvati wirft den Kopf zurück und lacht über den Regen. »In Kotkhai gibt es nichts mehr für mich, und auch in Varanasi nicht. Nein, ich werde niemals zu dieser Welt gehören, das habe ich beim Cricketspiel erkannt, als alle gelacht haben. Wohin soll ich gehen? Nur überallhin. Weißt du, es ist plötzlich so einfach, wenn man glaubt, man könne nirgenwohin mehr gehen, weil einem dann alles offensteht. Mumbai. Wir könnten nach Mumbai gehen. Oder Karnataka – oder Kerala. Wir könnten nach Kerala gehen, oh, dort wäre ich sehr gern, die Palmen und das Meer und das Wasser. Ich würde gern das Meer sehen. Ich möchte wissen, wie es riecht. Verstehst du? Es ist eine Gelegenheit, wenn alles um uns herum wahnsinnig geworden ist. In diesem Chaos können wir uns davonstehlen, und niemand wird es bemerken. Mr. Nandha wird glauben, ich wäre mit meiner Mutter nach Kotkhai zurückgegangen, meine Mutter wird glauben, ich wäre noch zu Hause, aber dort werden wir nicht mehr sein, Krishan. Wir werden nicht mehr da sein!«
Krishan spürt den Regen kaum. Am meisten wünscht er sich, Parvati von diesem sterbenden Garten wegzubringen, durch die Türen hinaus auf die Straße, und nie mehr zurückzublicken. Aber er kann nicht annehmen, was ihm geschenkt wird. Er ist ein unbedeutender Vorstadtgärtner mit einem Arbeitszimmer im Haus seiner Eltern, einem kleinen Dreirad-Laster und einer Werkzeugkiste, er ist nur jemand, der eines Tages einen Anruf von einer hübschen Frau erhielt, die in einem Hochhaus lebte und ihn beauftragte, einen Garten im Himmel anzulegen. Und der Gärtner legte den Garten auf dem Dach für die schöne, einsame Frau an, deren beste Freunde nur in Geschichten existierten, und dabei verliebte er sich in sie, obwohl sie die Ehefrau eines mächtigen Mannes war. Und nun, während eines großen Sturms, bittet sie ihn, mit ihm in ein fernes Land zu fliehen, wo sie glücklich bis an ihr Ende leben können. Das alles ist zu groß und zu plötzlich. Zu einfach. Es ist Stadt und Land .
»Womit wollen wir Geld verdienen? Und wir brauchen Reisepässe, wenn wir Bharat verlassen wollen. Hast du einen Reisepass? Ich nicht. Wie bekomme ich einen? Und was wollen wir tun, wenn wir dort sind, wie wollen wir leben?«
»Wir
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