Cyberabad: Roman (German Edition)
könnten es geheim halten, aber wir sind omnipräsent, allgegenwärtig. Wir hören das Flüstern in den Wänden des Weißen Hauses. Das Artefakt enthält einen zellularen Automaten – eine Art Universalcomputer. Die Amerikaner sind dabei, den Output zu entschlüsseln. Ich bemühe mich, den Entschlüsselungskode zu beschaffen. Ich glaube, dass es sich gar nicht um ein Artefakt, sondern um eine Kaih handelt, die einzige Form von Intelligenz, die den interstellaren Raum durchqueren kann. Wenn es mir gelingt, eine Kommunikationsverbindung herzustellen, haben wir einen Verbündeten, der die Macht besitzt, die Hamilton-Gesetze abzuschaffen. Aber es gibt noch einen letzten Ort, zu dem ich Sie bringen will. Wir sprachen von tröstlichen Illusionen. Glauben Sie, dass Sie immun dagegen sind?«
Die Rath Yatra wirbelt in einem Gestöber aus Safran und Scharlach davon und weicht einem Garten mit weißen Mauern und grünem Rasen und hellen Rosen und gepflegten staksigen Aprikosensträuchern, deren Stämme an der Basis mit weißer Farbe bestrichen sind. Ein Sprinkler wirft Wasserfächer von einer Seite zur anderen. Töpfe mit Geranien säumen die Kieswege. Die Wand schneidet den Blick auf ferne Berge ab. Ihre Gipfel bilden einen Horizont aus Schneekappen. Das Haus ist niedrig, und das Flachdach ist mit Solarkollektoren besetzt, die in die Sonne gedreht sind. Kleine Fenster lassen auf ein Klima schließen, das in jeder Jahreszeit unfreundlich ist, aber durch die offene Terrassentür sieht Najia Askarzadah Deckenventilatoren, die sich in dem Esszimmer mit dem schweren Tisch und den Stühlen im westlichen Stil langsam drehen. Doch es ist die Wäsche, die über die Berberitzen und Rosensträucher ausgebreitet wurde und die für Najia Askarzadah jeden Zweifel beseitigt, wo sie sich befindet – eine alte Angewohnheit vom Land, die sich in der Stadt gehalten hat. Sie hat sich immer dafür geschämt und befürchtet, ihre Freunde könnten es sehen und sie als Mädchen vom Land verspotten, als Bauerntrampel, als barbarische Stammesangehörige.
»Was tun Sie da?«, ruft sie. »Das ist mein Haus in Kabul!«
Mr. Nandhas Weg durch das Ministerium für die Lizensierung und Regulierung Künstlicher Intelligenzen lässt sich an den leuchtenden Energiesparlampen hinter der Glasverkleidung des Gebäudes nachverfolgen.
Vikram: Datenwiederherstellung. Der Boden von Vikrams Büro ist mit Haufen aus durchscheinenden blauen Speichern übersät, die in den Ruinen von Odeco beschlagnahmt wurden. Jede Minute schaffen die Angestellten mehr heran. Sie reihen sie im Korridor wie Flüchtlinge an einer Essensausgabe auf.
»Ich würde nicht darauf wetten, dass ich noch irgendwas herausholen kann.« Vikram steigt vorsichtig über einen Stromverteiler. »Ich halte es sogar für wahrscheinlicher, dass hier nie irgendwas war und Kalki schon gar nicht.«
»Ich mache mir keine Illusionen, dass Kalki jemals hier war oder dass Odeco etwas anderes als eine Rechnungsstelle war«, sagt Mr. Nandha. Von seinem Hosenaufschlag tropft es auf Vikrams industriegrauen Hartfaserteppich. »Das Mädchen ist der Schlüssel.«
Madhvi Pradad: Identifikation. Mr. Nandhas feuchte Baumwollsocken quietschen auf dem genoppten Gummibodenbelag.
»Sie ist eine Person, die nicht leicht zu identifizieren ist.« Eine Geste von Madhvi wirft das Foto von der Razzia bei Odeco auf einen Wandbildschirm. Mr. Nandha bemerkt, dass Madhvi einen Ehering trägt. »Aber ich habe sie vom Gyana-Chakshu-System checken lassen, für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie vielleicht immer noch in Patna ist. In Patna habe ich nichts gefunden, aber schauen Sie sich das hier an.« Madhvi Prasad ruft ein körniges Foto von einer Überwachungskamera auf. Es zeigt das Mädchen, wie es vor dem Rezeptionstresen eines Hotels steht. Die Einrichtung des Hotels ist in altmodischem Stil gehalten, überladen mit detaillierten Mughal-Elementen. Mr. Nandha beugt sich näher an den Bildschirm heran. Der Hotelangestellte kümmert sich um einen stämmigen Westler mittleren Alters mit Halbglatze und in lächerlichem Surfer-Outfit, für das sich auch ein halb so alter Mann schämen müsste.
»Das Amar Mahal Haveli an ...«
»Es ist mir bekannt. Und sie ist?«
»Ajmer Rao. Wir haben ihre Kreditkartendaten. Morva geht der Sache nach. Das Seltsame daran ist jedoch, dass wir nicht das erste System sind, das heute diese Aufnahme abgerufen hat.«
»Erklärung, bitte.«
»Jemand anderer war im Überwachungskameranetz und hat es
Weitere Kostenlose Bücher