Cyberabad: Roman (German Edition)
Ich werde einen Antrag auf sofortige Verhaftung von Ajmer Rao stellen. Mukul, bitte lassen Sie den Haftbefehl an alle Polizeidienststellen in Varanasi und Patna schicken.«
»Damit kommen Sie vielleicht ein bisschen zu spät«, wird er von Ram Lalli unterbrochen. Mr. Nandha setzt zu einer Rüge an, doch Lalli hat die rechte Hand am Ohr, während er einen Anruf entgegennimmt. »Die Polizei hat einen Fahndungsbefehl ausgegeben. Ajmer Rao ist soeben aus der Untersuchungshaft in Rajghat entflohen. Thomas Lull befindet sich dort weiterhin in Gewahrsam.«
»Was hat das zu bedeuten?«, will Mr. Nandha wissen.
»Die Polizei hat sie im Nationalarchiv verhaftet. Wie es aussieht, war sie uns einen Schritt voraus.«
»Die Polizei?« Mr. Nandha könnte sich übergeben. Er hängt im leeren Raum. Das, denkt er, ist der Zusammenbruch von allem, den er im gläsernen Aufzug gespürt hat. »Wann ist das passiert?«
»Man hat sie gegen neunzehn Uhr dreißig festgenommen.«
»Warum wurden wir nicht informiert? Wofür halten uns diese Leute – für Babus, die Formulare ausfüllen?«
»Das gesamte Netz des Bezirks Rajghat ist ausgefallen«, sagt Ram Lalli.
»Mr. Lalli, an die Polizei von Rajghat«, befiehlt Mr. Nandha. »Ich übernehme die volle Verantwortlichkeit für diesen Fall. Teilen Sie der Dienststelle mit, dass nunmehr das Ministerium für diese Angelegenheit zuständig ist.«
»Chef.« Vik hebt eine Hand und lässt Mr. Nandha an der Tür innehalten. »Das müssen Sie sich ansehen. Es geht um die Biochips. Ich glaube, ich weiß jetzt, wo sie abgeblieben sind.«
Ein Bild baut sich über der Zeitanzeige in Mr. Nandhas Augenwinkel auf. Er hat solche blauen Geisterschädel schon einmal gesehen. Die Bilder des Quantenresonanzdetektors von den Biochip-Trümmern, die Mr. Nandras Indra-Angriff in Anreddys Kopf hinterlassen hat, waren ein Schlüsselbeweis für die Verurteilung des Mannes. Selbst als Maha der Datenrajas hat Anreddy nie über eine derartige Ausrüstung verfügt. Jede Falte und Windung, jede Nervenkreuzung und jedes Thelium ist mit Biochip-Juwelen geschmückt.
Die bösen Männer fahren im Regen auf den superheißen japanischen Geländemotorrädern in die Stadt ein. Chunar ist all das, was Datenraja Anand versprochen hat – provinziell, schlammig, inzüchtig und nachts geschlossen. Nur im Dechiffrier-Callcenter herrscht noch Betrieb, einem durchsichtigen Zylinder aus aufblasbarem Polyethylen auf dem billigsten Randgrundstück der Billigstadt. Die bösen Jungs kommen mit knirschendem Sand unter den Reifen vor dem Chunar Fort zum Stehen. Wie die meisten alten Bauwerke ist es aus der Nähe viel größer und imposanter. Wobei imposant bedeutet: auf der Flussseite mit dem Steilhang so ziemlich unangreifbar. Wie diese Szenen in den Pak-Rächerfilmen, wenn der Typ für den Mord an seiner künftigen Frau Vergeltung übt, indem er den fetten Schurken und seine Baradari in ihrer Familienburg kaltmacht. Shiv lugt durch den schräg fallenden Regen zum weißen Haus im europäischen Stil hinauf, das am Rand der Brüstung steht. Exzentrischerweise von Ramanandacharya in Flutlicht getaucht, ist es ein Leuchtfeuer, das kilometerweit an dieser öden Flussschleife des Ganges zu sehen ist. Warren Hastings’ Pavillon hat Anand das Gebäude genannt. Warren Hastings. Klingt wie ein neuer Name, den man bekommt, wenn man in einem Callcenter anfängt.
Von dieser Kreuzung gehen vier Straßen aus. Zurück, dorthin, woher sie gekommen sind. Nach rechts zur Pontonbrücke. Nach links zu dem, was von Chunar zu sehen ist, ein paar schlammige Galis, eine Coca-Cola-Reklame und irgendwo ein Radio, das auf einen Filmi-Sender eingestellt ist. Geradeaus führt die kurvige Kopfsteinstraße hinter die Wachtürme und hinauf durch das große Tor ins Chunar Fort.
Nachdem er jetzt hier ist, unter den zerbröckelnden Sandsteintürmen – nachdem er gesehen hat, wie sich all seine Pläne der Reihe nach bis zum einzig möglichen Ergebnis umgesetzt haben –, wird Shiv klar, dass er diese Sache unbedingt durchziehen muss. Und er hat Angst vor den Wachtürmen und dem Weg, der sich uneinsehbar hinaufschlängelt. Aber noch viel mehr Angst hat er davor, dass Yogendra ihm im Ernstfall anmerkt, dass er kein Raja ist. Shiv kramt einen kleinen Plastikbeutel aus seiner lichtstreuenden Cargohose und schüttelt zwei Pillen heraus.
»He.«
Yogendra rümpft die Nase.
»Um klarzukommen.«
Die Pillen sind ein Heldenabschiedsgeschenk von Priya, als er sie endlich im Club
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