Cyberabad: Roman (German Edition)
Musst gefunden hatte.
Leichen drehen sich im Strom. Gavialstiefel fallen ins große Blau.
Am Fuß des Forts im Regen schluckt Shiv beide Pillen.
»Okay«, sagt er und dreht am Gashebel, um das süße kleine japanische Motorrad auf Touren zu bringen. »Legen wir los.«
»Nein«, sagt Yogendra.
Shiv braucht einen Moment, um zu verstehen, und es liegt nicht an den Drogen. »Was?«
»Wenn wir diesen Weg nehmen, sterben wir.«
Shiv schaltet den Motor aus. »Wir haben einen Plan. Anand hat ...«
»Anand weiß gar nichts. Anand ist ein fetter Kiffer, der glaubt, dass Filme das Leben sind. Wenn wir diesen Weg nehmen, werden wir in Stücke geschossen.«
Shiv hat noch nie so viele Worte auf einmal von Yogendra gehört. Und es kommen noch mehr: »Motorräder, Taser, schnell rein und raus. Das ist James-Bond-Scheiße. Arsch Anand und Mädchen in Catsuits. Wir nehmen diesen Weg nicht.«
Mit Priyas kleinen Helfern fühlt sich Shiv mutig, unsterblich und scheißaufalles. Er sieht seinen Lehrling kopfschüttelnd an und ballt eine Faust, mit der er ihn von seinem Motorrad stößt.
Yogendras Messerklinge blitzt im Flutlicht auf. »Wenn du noch einmal schlägst, steche ich zurück, Mann.«
Shiv ist benommen vor Verwunderung. Er glaubt, dass es Verwunderung ist.
»Ich sage dir, was du tun musst. Wir suchen einen anderen Weg hinein, von hinten herum. Wir schleichen uns rein. Wie Einbrecher. So werden wir es überleben.«
»Anand ...«
»Scheiß auf Anand!« Shiv hat noch nie gehört, wie Yogendra die Stimme hebt. »Scheiß auf Anand! Diesmal machen wir es auf Yogendra-Art.«
Yogendra wendet sein Motorrad, gibt Gas und fährt nach links auf die dunklen, schlammigen Nebenstraßen von Chunar zu. Shiv folgt ihm an kläffenden Pariahunden und den Skeletten von Papayabäumen vorbei. Yogendra steht auf den Pedalen, während er mit dem Motorrad die flachen Treppen hinaufrattert und die dunklen Mauern, die über den Geschäften und Anbauten aufragen, nach Schwachpunkten absucht. Sie folgen den Windungen der Straßen hinauf zur Flanke der Klippe. Yogendras Instinkt hat recht behalten. Wie eine Bibi aus der feinen Quartier-Gesellschaft hat Chunar Fort eine imposante, aufgedonnerte Vorderfront, aber auf der Rückseite ist alles vollgeschissen. Die Schotterwege am Fuß des bröckelnden Mauerwerks, rostende Blechschilder und durchhängender Maschendraht lassen erkennen, dass dieser Teil des Forts ein alter indischer Armeestützpunkt war, der nach der Staatsgründung aufgegeben wurde. Schließlich weichen die Mauern ganz zurück und öffnen sich zu einer weiten Einfahrt, früher der Hauptzugang zur Basis, nun provisorisch mit Wellblech und Stacheldraht versperrt. Yogendra bringt das Motorrad zum Stehen und sieht sich die Sache an. Er rüttelt an einem Stück Blech, zerrt an einer Ecke. Stahl gibt quietschend nach. Shiv hilft ihm, gemeinsam heben, biegen und reißen sie, bis sich eine rajagroße Öffnung gebildet hat. Drinnen klappt Yogendra seinen Palmer auf, um die GPS -Daten mit Anands Karte zu vergleichen. Warren Hastings’ Pavillon leuchtet wie eine christliche Hochzeitstorte in der Ferne. Die Badmashs hocken am Fuß der Mauer, während Shiv seine Nachtsichtbrille auspackt. Die finstere Nacht verwandelt sich in einen alten Schwarzweißfilm, wie einer dieser Satyajit-Ray-Streifen über arme Leute und Eisenbahnen. Der Pavillon ist hell wie die Sonne. Yogendra macht die Überwachungskamera ausfindig, die ihnen am nächsten ist – auf einer Stange an der Mauer, die die Basis des Südturms bildet, einen zweihundert Meter weiten Sprint durch die tropfende schwarze und weiße Welt entfernt. Die dachlosen Ruinen der ehemaligen Baracken der indischen Armee geben gute Deckung. Im Westen zucken immer noch Blitze über dem Sangam von Allahabad, wo drei heilige Flüsse aufeinandertreffen – der Yamuna, der Ganges und der unsichtbare Saraswati – und wo sich auf den dunklen Ebenen Armeen gegenüberstehen. Jeder Blitz blendet die Elektronik der Nachtsichtbrille, aber Shiv bleibt einfach für einen kurzen Moment stehen. Während die Kamera in die andere Richtung blickt, schleichen sich Shiv und Yogendra heran, bis sie den toten Winkel erreicht haben. Shiv zieht die EMP -Granate hervor und macht sie scharf. Er streckt seine Finger einzeln am Schlagbolzen: kein guter Moment für einen Krampf. Shiv lässt die Granate fallen. Er drückt die Augenlider fest aufeinander, als der Puls seine Nachtbrille überlastet, aber trotzdem kommen ihm
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