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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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Er hat die übliche Form einer Weltraumkartoffel. Die Auflösung ist nicht besonders gut. »Das ist Darnley 285.«
    »Das muss ein ganz besonderer Asteroid sein«, sagt Lisa. »Wird er mit uns den Chicxulub machen?«
    Die Agentin wirkt zufrieden. Sie ruft eine neue Grafik auf, farbige Ellipsen, die sich kreuzen.
    »Darnley 285 ist ein Erdbahnkreuzer, der 2027 vom NEAT-Himmelsüberwachungsprogramm entdeckt wurde. Bitte schauen Sie sich diese Animation an.« Sie tippt auf eine gelbe Ellipse, die sich der Erdbahn annähert und bis hinter den Mars reicht. »Bei der größten Annäherung an die Erde unterschreitet er knapp den Mondabstand.«
    »Das ist ziemlich nahe für ein NEO «, sagt Lisa Durnau. Siehst du, auch ich kann so sprechen!
    »Darnley 285 braucht eintausendfünfundachtzig Tage für einen Orbit. Beim nächsten Mal kommt er so dicht heran, dass es ein statistisches Risiko gibt.« Der animierte Punkt verfehlt die Erde um Haaresbreite.
    »Also haben Sie das Lichtsegel gebaut, um ihn aus der Gefahrenzone zu schaffen«, sagt Lisa.
    »Um ihn zu bewegen, aber nicht aus Sicherheitsgründen. Bitte schauen Sie genau hin. Dies ist der projizierte Orbit für das Jahr 2030. Und das war der tatsächliche Orbit.« Eine gelbe Ellipse erscheint. Sie hat exakt die gleiche Lage wie der 2027-Orbit. Die Agentin fährt fort. »Eine Interaktion mit dem Erdnahen Objekt Sheringham 12 während der nächsten Umkreisung würde Darnley 285 noch näher heranbringen, auf einhundertachtzigtausend Kilometer. Stattdessen sah es 2033 so aus ...« Die neue gepunktete Parabel wird vom tatsächlich beobachteten Kurs abgelöst: wieder genau die gleiche Umlaufbahn wie im Jahr 2027. »Eine anomale Situation ...«
    »Damit wollen Sie sagen ...«
    »Eine nicht identifizierte Kraft modifiziert den Orbit von Darnley 285 und sorgt dafür, dass der Asteroid immer den gleichen Abstand zur Erde beibehält«, sagt Daley Suarez-Martin.
    »Großer Gott!«, flüstert Lisa Durnau, die Pastorentochter.
    »2039 haben wir während der Annäherung eine Mission losgeschickt. Unter höchster Geheimhaltung. Wir haben etwas gefunden. Daraufhin wurde ein erweitertes Projekt gestartet, um es zurückzubringen. Darum ging es bei der Lichtsegel-Testmission, deswegen wurde die Sache mit der Epsilon-Indi-Geschichte verschleiert. Wir mussten den Asteroiden irgendwohin bringen, wo wir ihn uns gründlich aus der Nähe ansehen konnten.«
    »Und was haben Sie gefunden?«, fragt Lisa Durnau.
    Daley Suarez-Martin lächelt. »Morgen schicken wir Sie los, damit Sie es sich selber ansehen können.«

6 Lull
    Halb zwölf, und der Club tobt. Flutlichter an Masten grenzen ein Oval aus Sand ein. Die Körper drängen sich im Licht wie Motten. Sie bewegen sich, sie reiben sich aneinander, die Augen ekstatisch geschlossen. Die Luft riecht nach aufgebrauchtem Tag, Unmengen Schweiß und zollfreiem Chanel. Die Mädchen tragen die Shiftkleider dieses Sommers, die Zweiteiler des letzten Sommers, den gelegentlichen klassischen V-String. Die Jungs haben allesamt freie Oberkörper und tragen mehrere Schichten Halsschmuck. Kinnfusseln sind wieder in, die Iros sind so was von ’46, Tribal Bodypainting steht kurz davor, endgültig out zu sein, aber die Skarifikation scheint im Kommen zu sein, bei den Jungs genauso wie bei den Mädchen. Thomas Lull ist froh, dass die australischen Penisriemen aus der Mode sind. In den vergangenen drei Jahren hat er auf den Partys der Ghosht Brothers gearbeitet, eine Menge Geld verdient und die schnellen Gezeitenwechsel der Jugendkultur dieses Planeten miterlebt. Aber diese Dinger, mit denen die Sache wie ein Periskop hochgeschnürt wurde ...
    Thomas Lull sitzt auf dem weichen, müden grauen Sand, die Unterarme auf die angezogenen Knie gelegt. Die Brandung ist heute Nacht ungewöhnlich leise. Kaum eine Welle an der Strandlinie. Ein Vogel schreit über dem schwarzen Wasser. Die Luft ist still, dicht, müde. Kein Vorgeschmack des Monsuns. Die Fischer sagen, seit die Banglas ihr Eis an Tamil Nadu vorbeigeschleppt haben, seien die Strömungen völlig durcheinandergeraten. Hinter ihm bewegen sich Körper in absoluter Stille.
    Gestalten schälen sich aus der Dunkelheit, zwei weiße Mädchen in Sarongs und Neckholder-Tops. Ihre Haarfarbe ist ein schmutziges Strandblond, und die Haut hat jene übertriebene skandinavische Bräune, die von blassen nordischen Augen noch betont wird. Sie gehen Hand in Hand, barfuß. Wie alt seid ihr, neunzehn, zwanzig?, denkt Thomas Lull. Mit eurer

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