Cyberabad: Roman (German Edition)
sind elektrisiert.
»Heute um Mitternacht werde ich von meinem Posten als Vorsitzender von Ray Power zurücktreten. Ich werde meinen Wohlstand und meinen Einfluss aufgeben, mein Prestige und meine Pflichten. Ich werde mein Haus und meine Familie verlassen und erneut den Stab und die Schale des Sadhu aufnehmen.«
Im Sitzungssaal von Ray Power hätte es nicht stiller sein können, wenn man ihn mit Nervengas geflutet hätte. Ranjit Ray lächelt, versucht zu beschwichtigen. Vergeblich.
»Bitte verstehen Sie, dass ich diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen habe. Ich habe ausführlich mit meiner Frau darüber diskutiert, und sie stimmt mir in allen Punkten zu. Shastri, mein Assistent und Helfer in vielen Jahren, wird mich auf dieser Reise begleiten, aber nicht als Diener, da alle Unterschiede dieser Art heute Abend enden, sondern als Partner auf der Suche nach dem richtigen Leben.«
Die Teilhaber sind aufgesprungen, rufen durcheinander, stellen Fragen. Eine Dalit-Frau brüllt in Vishrams Ohr, was nun aus ihren Klienten, ihren Schwestern wird, aber Vishram bleibt völlig ruhig und distanziert, durch das Gefühl der Unvermeidlichkeit auf seinem Stuhl verankert. Es ist, als hätte er bereits in dem Moment, als er in Glasgow das Ticket auf seiner Türschwelle vorfand, gewusst, dass genau dies geschehen würde.
Ranjit Ray bringt die Anwesenden zum Schweigen. »Meine Freunde, bitte denken Sie nicht, dass ich Sie im Stich gelassen habe. Die erste Bedingung, die ein Mann erfüllen muss, der dem spirituellen Weg folgen will, ist die Aufgabe aller weltlichen Verantwortungen. Wie Sie wissen, versuchen andere Konzerne, diese Firma aufzukaufen, aber Ray Power ist in erster Linie ein Familienunternehmen, und ich bin nicht bereit, es fremden und unmoralischen Systemen des Managements zu überlassen.«
Tu es nicht, denkt Vishram. Sag es nicht.
»Aus diesem Grund trete ich die Leitung der Firma an meine Söhne Ramesh, Govind und Vishram ab.« Er wendet sich jedem Einzelnen zu, die Hände erhoben, als wollte er sie segnen. Ramesh wirkt, als sei auf ihn geschossen worden. Seine großen geäderten Hände liegen flach auf dem Tisch wie enthäutete Tiere. Govind bläst sich auf und blickt sich am Tisch um, teilt den Raum schon jetzt in Verbündete und Feinde auf. Vishram ist völlig benommen, ein Schauspieler, der sich in einem fremden Drehbuch wiederfindet.
»Ich habe vertrauenswürdige Berater ernannt, die euch durch die Übergangsphase führen werden. Ich setze großes Vertrauen in euch. Bitte versucht, euch dessen würdig zu erweisen.«
Marianna Fusco beugt sich über den weiten Tisch, eine Hand ausgestreckt. Ein Bündel aus zusammengebundenen Papieren liegt neben ihr auf der polierten Oberfläche. Vishram sieht ganz unten auf der Seite die gepunkteten Linien, die auf seine Unterschrift warten.
»Meinen Glückwunsch, und herzlich willkommen in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, Mr. Ray.«
Er greift nach der Hand, die noch vor kurzer Zeit fest, trocken und weich seinen Schwanz umschlossen hat.
Plötzlich fällt ihm ein, woher er das Drehbuch kennt.
»Lear«, flüstert er.
10 Shiv
Yogendra lässt den Geländewagen mitten auf der Straße vor dem Musst stehen. Polizisten und Diebe respektieren gleichermaßen, dass der Parkplatz eines Raja dort ist, wo er sein Fahrzeug verlässt. Yogendra öffnet die Tür für Shiv. Fahrradrikschas machen klingelnd einen Bogen um ihn.
MUSST heute mit TALV verkündet die Neonschrift. Nachdem jetzt jeder personalisierte Kaih-DJs und einen eigenen Groove-Mix hat, werben Clubs mit ihren Barkeepern. Für die Gehaltsempfänger ist es noch zu früh in der Woche, um auf Frauenjagd zu gehen, aber die Mädchen sind schon anwesend. Shiv setzt sich auf seinen Hocker. Yogendra nimmt den Platz neben ihm. Shiv stellt das Fläschchen mit den Ovarien auf den Tresen. Die unterirdische Beleuchtung verwandelt es in ein Alien-Artefakt aus einem Hollywood-Sci-Fi-Film. Barkeeper Talv schiebt eine Glasschüssel mit Paan über die Fläche aus fluoreszierendem Kunststoff. Shiv nimmt sich einen Priem, stopft ihn sich in die Wange und lässt sich vom Bhang durchsickern.
»Wo ist Priya?«
»Hinten.«
Mädchen in Kniestiefeln und kurzen Röcken und Tops aus Haftseide drängen sich um einen Tisch, wo der Polychrom-Bereich beginnt. Im Zentrum, von einem Halo aus Cocktailgläsern umgeben, befindet sich ein zehnjähriger Junge.
»Verdammte Brahmanen«, sagt Shiv.
»Auch wenn er nicht so aussieht, er ist
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