Cyberabad: Roman (German Edition)
kleiner Junge war und sein Vater die Firma aufgebaut hat, die entschlossene Abgeklärtheit eines Mannes, der davon überzeugt ist, das Richtige zu tun. Hinter ihm folgt Shastri, sein Schatten.
Ranjit Ray begibt sich zum Kopfende des Tisches. Aber er nimmt seinen Platz nicht ein. Er begrüßt den Vorstand und die Gäste. Der große holzverkleidete Raum vibriert vor Anspannung. Vishram würde alles für einen solchen Auftritt geben.
»Kollegen, Partner, verehrte Gäste, meine liebe Familie«, beginnt Ranjit Ray. »Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute gekommen sind, viele von Ihnen unter beträchtlichen Mühen und Kosten. Lassen Sie mich gleich zu Beginn sagen, dass ich Sie nicht um Ihr Erscheinen gebeten hätte, wenn ich nicht der Überzeugung gewesen wäre, dass es sich um eine Angelegenheit von eminenter Bedeutung für dieses Unternehmen handelt.«
Ranjit Rays Stimme ist ein sanfter, tiefer Gebetston, der ohne Verluste jeden Winkel des großen Raums erreicht. Vishram erinnert sich, niemals gehört zu haben, wie sein Vater die Stimme hebt.
»Ich bin jetzt achtundsechzig Jahre alt, drei Jahre über dem Alter, das nach westlichem Geschäftsethos als das Ende eines ökonomisch nützlichen Lebens betrachtet wird. In Indien ist es eine Zeit der Besinnung, der Kontemplation anderer Wege, die man hätte einschlagen können, die vielleicht noch eingeschlagen werden können.« Ein Schluck Wasser.
»Im Abschlussjahr meines Studiums der Ingenieurwissenschaften an der Hindu University of Varanasi habe ich erkannt, dass die Gesetze der Ökonomie den Gesetzen der Physik unterworfen sind. Die physikalischen Prozesse, die diesen Planeten und den Lauf des Lebens auf diesem Planeten beherrschen, setzen dem Wirtschaftswachstum eine genauso strikte Obergrenze, wie die Lichtgeschwindigkeit unsere Erforschung des Universums beschränkt. Mir wurde klar, dass ich nicht nur ein Ingenieur bin, sondern ein Hindu-Ingenieur. Aus diesen Einsichten zog ich eine weitere Schlussfolgerung. Wenn ich meine Fähigkeiten dazu einsetzen wollte, Indien zu helfen, zu einer starken und respektierten Nation zu werden, musste ich es auf die indische Weise tun. Ich musste es auf die Hindu-Weise tun.«
Er sieht seine Frau und seine Söhne an.
»Meine Familie hat diese Worte schon oft von mir gehört, und ich glaube, sie wird mir die Wiederholung verzeihen. Ich ging ein Jahr lang auf Pilgerfahrt. Ich folgte dem Bhakti und vollzog die Puja in den sieben heiligen Städten, ich badete in den heiligen Flüssen und suchte den Rat von Swamis und Sadhus. Und jedem von ihnen, an jedem Tempel und jeder heiligen Stätte, stellte ich die gleiche Frage.«
Wie kann ich als Ingenieur ein richtiges Leben führen?, sagt Vishram in Gedanken. Diese Predigt hat er in der Tat schon viel häufiger gehört, als er sich erinnern möchte: wie dieser Hindu-Ingenieur mit einer Crore Rupien von einer Mikrokreditgesellschaft einen kostengünstigen, wartungsfreien Solarstromgenerator aus Kohlenstoffnanoröhren für den Hausgebrauch baute. Nach fünfzig Millionen produzierten Einheiten, nach Alkoholkraftstoff-Raffinerien, Biomasse-Kraftwerken, Windparks, Meereswärmeströmungsgeneratoren und einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung, die das indische Bewusstsein – das Hindu -Bewusstsein – in die Leere der Nullpunktenergie vorantreibt, ist Ray Power einer von Bharats – Indiens – führenden Konzernen. Eine Firma, die es auf die indische Weise geschafft hat, nachhaltig, mit Rücksicht auf die Erde und die Kreisläufe. Ein Unternehmen, das resolut um den Mahlstrom der internationalen Märkte herumnavigiert. Ein Konzern, der die aufregenden neuen architektonischen Talente Indiens beauftragt hat, eine Firmenzentrale aus nachhaltigem Holz und Glas zu errichten, und weiterhin Dalits in der Vorstandsetage willkommen heißt. Es ist eine große und inspirierende Geschichte, aber Vishrams Aufmerksamkeit schweift immer wieder zu Marianna Fuscos Brüsten unter dem Stretch-Brokat ab. Darauf erscheint eine Nachricht in keckem Lila. HÖR DEINEM VATER ZU.
BI-BA-BUTZEMANN , antwortet er.
WORTSPIELE SIND DIE NIEDRIGSTE FORM DER KOMIK , erwidert sie.
OH VERZEIHUNG, ICH DACHTE IMMER, ES WÄRE SARKASMUS , kontert er in Blau auf dem Revers seines wirklich sehr schnellen Anzugs. Weshalb er fast die Pointe verpasst hätte.
»Deshalb habe ich beschlossen, dass es an der Zeit ist, erneut die Frage aufzugreifen, wie sich ein richtiges Leben führen lässt.«
Vishram Ray blickt auf, seine Nerven
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