Cyberabad: Roman (German Edition)
Lisa Durnau schwebt wie ein Engel inmitten eines langsam rotierenden Balletts aus Weltraumtechnik: die geleiterten Flügel eines Sonnenkollektors, eine Rosette aus Filmspiegeln wie ein Halo aus Miniatursonnen, eine Hochleistungsantenne, die über ihrem Kopf kreist, ein abfliegendes Shuttle, das vorbeiblitzt. Die gesamte Anordnung ist in grelles Licht getaucht und wird mit einem Kabelnetz von der Spinne im dunklen Herzen zusammengehalten: Darnley 285. In Jahrmillionen angesammelter Staub hat dem Asteroiden eine Färbung verliehen, die nur einen Hauch heller ist als das Schwarz des Weltraums. Dann verschieben sich die Spiegel, und Lisa Durnau schnappt nach Luft, als ein dreizackiger Stern auf der Oberfläche silbern aufleuchtet. Erstaunen wird zu Gelächter, denn jemand hat ein Mercedes-Logo auf einem Weltraum-Felsbrocken angebracht. Jemand, der nicht menschlich ist. Die Triskele ist riesig, jeder Arm hat eine Länge von zweihundert Metern. Der Walzer verlangsamt sich, als Captain Pilot Beth sich der Rotation des Felsbrockens anpasst und Lisa Durnau zu einer mentalen Reorientierung zwingt. Jetzt treibt sie nicht mehr mit dem Gesicht voran auf eine erdrückend dunkle Masse zu. Nun befindet sich der Asteroid unter ihren Füßen, und sie senkt sich wie ein Engel herab. Einen halben Kilometer vom Landeplatz entfernt erkennt Lisa die Lichter der Menschenbasis. Die Kuppeln und umgebauten Abwurftanks sind mit einer dicken Staubschicht bedeckt, die durch die statische Aufladung während der Konstruktion angezogen wurde. Allein der Alien-Stern leuchtet klar. Das Shuttle nähert sich einem Zielkreuz aus roten Navigationslichtern. Eine Prozession aus Roboterarmen arbeitet fleißig, um die Lampen und die Linsen der Startlaser zu entstauben. Als sie aufblickt, kann sie sehen, wie sie sich an den Strom- und Komkabeln hinauf- und hinabhangeln. Die Pastorentochter Lisa Durnau denkt an die biblische Geschichte von der Jakobsleiter.
»Okay, ich werde Sie jetzt abschalten«, sagt die Stimme von Captain Pilot Beth. Für einen Moment ist Lisa desorientiert, dann findet sie sich blinzelnd im engen Cockpit des Transferschiffs wieder. Die Anzeigen zählen auf null herunter, Lisa spürt eine leichte Bewegung, und dann sind sie unten. Längere Zeit passiert gar nichts. Dann hört sie Rattern und Rasseln und Zischen. Captain Pilot Beth öffnet den Reißverschluss, und Lisa Durnau purzelt unter Krämpfen und sehr erstaunlichen Körpergerüchen heraus. Darnley 285 verfügt über zu wenig Schwerkraft für ein Gefühl der Anziehung, aber sie reicht aus, um Lisa einen Richtungssinn zu geben. Da ist unten. Da ist links und rechts und vorn und hinten und oben. Eine weitere mentale Reorientierung. Sie hängt kopfüber wie eine Fledermaus. Unten, vor ihrem Gesicht, drehen sich die Lukenklammern, bis sich eine kurze Röhre öffnet, eng wie ein Geburtskanal. Eine weitere Luke rotiert und schwingt auf. Ein stämmiger Mann mit Bürstenhaarschnitt steckt den Kopf und die Schultern hindurch. Die Nase und die Augen deuten auf polynesische Gene nicht allzu weit unten in seinem Familienstammbaum hin, und an den Schultern prangt die Aufschrift US Army . Aber er zeigt ein herzliches Lächeln, als er Lisa Durnau eine Hand entgegenstreckt.
»Dr. Durnau, ich bin Sam Rainey, der Projektleiter. Willkommen auf Darnley 285 oder, wie unsere archäologischen Freunde ihn zu nennen pflegen, dem Tabernakel.«
12 Mr. Nandha, Parvati
Der Verkehr ist schlimmer als je zuvor, nachdem die Karsevaks nun ein dauerhaftes Lager rund um die gefährdete Ganesha-Statue eingerichtet haben, und Mr. Nandha, der Krishna Cop, wird obendrein von seinen Hefeinfektionen geplagt. Noch schlimmer ist, dass er eine Besprechung mit Vik in der Datenwiederherstellung hat. Mr. Nandha ärgert alles an Vik, von seinem selbstgewählten Spitznamen (was ist eigentlich so falsch an Vikram, einem guten historischen Namen?) bis zu seinem MTV -Modestil. Er ist das Gegenteil der Fundamentalisten, die auf dem Kreisverkehr kampieren. Wenn Sarkhand das atavistische Indien repräsentiert, ist Vik ein Opfer des Zeitgenössischen und Flüchtigen. Aber was Mr. Nandha ursprünglich den Tag verdorben hat, war sein Fast-Streit mit Parvati.
Sie hatte Frühstücksfernsehen geschaut und auf ihre verlegene Art mit der Hand vor dem Mund gelacht, wie die Moderatoren von ihren Chati-, Soapi- und Celebriti-Gästen geschwärmt hatten.
»Diese Rechnung. Sie kommt mir ... recht hoch vor.«
»Rechnung?«
»Für die
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