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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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natürlich die Enkelkinder, die Enkelsöhne. Man hat alles bis auf das eine – einen Sohn. Ein einziger Sohn wäre mehr als genug. Dann die Termine bei den Ärzten, die sie nie hatten sehen wollen, und die Familien, die über den Ergebnissen grübelten. Dann die bitteren kleinen Pillen und die blutigen Tage. Shaheen Badoor Khan kann nicht mehr zählen, wie viele Töchter er schon fortgespült hat. Seine Hände haben die Gliedmaßen der Gesellschaft von Bharat verstümmelt.
    Er würde sich gern weiter mit dem Mann unterhalten, aber dessen Aufmerksamkeit wird von der Party in Anspruch genommen. Shaheen folgt seinem Blick: Die Frau, über die sich Bilquis lustig gemacht hat, das gutaussende Mädchen vom Land, bewegt sich durch die aufgeregte Menge. Die Ankunft der Diva steht unmittelbar bevor.
    »Meine Frau«, sagt der Mann. »Mein letzter Aufruf. Bitte entschuldigen Sie mich. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben.« Er stellt seinen Champagner auf den Boden und geht zu ihr. Applaus, als Mumtaz Haq auf die Bühne tritt. Sie lächelt und lächelt und lächelt ihr Publikum an. Ihr erstes Lied an diesem Abend wird eine Hommage an die großzügigen Gastgeber sein, die Hoffnung auf Glück, langes Leben und Wohlstand für ihr anmutiges Kind. Die Musiker spielen auf. Shaheen Badoor Khan geht.
    Seiner erhobenen Hand gelingt es nicht, eines der vereinzelten Taxis in diesem Vorort anzuhalten, wo jeder einen eigenen Wagen hat. Ein Phatphat trommelt vorbei, wendet an einer Lücke im betonierten Mittelstreifen und fährt an den Straßenrand. Shaheen Badoor Khan geht darauf zu, doch dann dreht der Fahrer den Gashebel und rattert davon. Shaheen Badoor Khan erspät eine dunkle Gestalt in voluminöser Kleidung unter dem Plastikdach. Das Phatphat überquert erneut den Mittelstreifen, tuckert auf Shaheen Badoor Khan zu. Ein Gesicht blickt aus der Blase, ein elegantes, fremdartiges, feenhaftes Gesicht. Wangenknochen werfen Schatten. Licht glitzert auf der haarlosen, mit Glimmer bestäubten Kopfhaut.
    »Sie können sehr gern mitfahren.«
    Shaheen Badoor Khan schreckt zurück, als hätte ein Djinn seinen geheimen Seelennamen gerufen.
    »Nicht hier, nicht hier«, flüstert er.
    Das Neut blinzelt mit den Augen, ein langsamer Kuss. Der Motor heult auf, das kleine Phatphat fädelt sich wieder in den Nachtverkehr ein. Straßenlicht spiegelt sich auf Silber am Hals des Neut, einem Shiva-Trishul.
    »Nein«, fleht Shaheen Badoor Khan. »Nein.«
    Er ist ein Mann mit Verantwortung. Seine Söhne sind erwachsen geworden und ausgezogen, seine Frau ist für ihn seit Jahren fast wie eine Fremde, aber es gibt einen Krieg, eine Dürre, eine Nation, um die er sich kümmern muss. Doch die Anweisungen, die er dem Maruti-Fahrer gibt, der endlich anhält, beziehen sich nicht auf das Khan-Haveli. Er fährt zu einem anderen Ort, einem ganz besonderen Ort. Einem Ort, von dem er gehofft hatte, ihn nie wieder aufsuchen zu müssen. Auch wenn die Hoffnung nur klein war. Zu dem besonderen Ort geht es eine Gali hinunter, die zu schmal für Fahrzeuge ist und von kunstvoll gearbeiteten Jharokhas aus Holz und ramponierten Klimaanlagen überragt wird. Shaheen Badoor Khan öffnet die Taxitür und tritt hinaus in eine andere Welt. Sein Atem geht flach und zitternd. Da. Im kurzen Licht einer sich öffnenden und schließenden Tür sieht er zwei Silhouetten, zu schlank, zu elegant, zu feenhaft für die ordinäre Menschheit.
    »Oh«, ruft er leise. »Oh.«

14 Thal
    Thal rennt. Eine Stimme aus dem Taxi ruft sys Namen. Ys blickt sich nicht um. Ys bleibt nicht stehen. Ys rennt, und hinter ys bläht sich der Schal in verwischtem ultrablauem Paisleymuster. Hupen ertönen, plötzlich auftauchende Gesichter schreien Beleidigungen; Schweiß und Zähne. Thal schreckt vor einem Beinahe-Zusammenstoß mit einem kleinen schnellen Ford zurück, Musik wumm-wumm-wummt. Ys fährt herum, weicht dem schockierenden Tröten von Lastwagenhupen aus, schlüpft zwischen einem ländlichen Pick-up und einem Bus hindurch, der von einer Haltestelle abfährt. Thal bleibt für einen Moment auf dem Mittelstreifen stehen, um zurückzublicken. Die Blase des Taxis schnurrt immer noch über den Fußgängerweg. Dort steht eine Gestalt, im Licht der Scheinwerfer erkennbar. Thal stürzt sich in den stählernen Fluss.
    An diesem Morgen versuchte Thal sich zu verstecken, hinter Arbeit, hinter einer riesigen Wraparound-Piloten-Sonnenbrille, hinter dem heftigsten Kater seines Lebens, aber jeder musste

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