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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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ihm mit den Blicken. Macht hat überall denselben Geruch, ob in der Stadt oder auf dem Land. Shaheen Badoor Khan nickt ihnen zu, doch Bilquis ist mit ihren früheren Freundinnen aus der Anwaltschaft auf Abfangkurs. Die Damen, die einst der Juristerei nachgingen. Bilquis’ Karriere ist genauso wie die einer ganzen Generation gut ausgebildeter, arbeitender Frauen hinter einem Schleier gesellschaftlicher Verpflichtungen und Einschränkungen verschwunden. Kein Gesetz, kein Imam, keine Kastentradition hat sie von ihrem Arbeitsplatz vertrieben. Warum sollen sie arbeiten, wenn fünf Männer um jeden Job konkurrieren und jede gebildete, in Umgangsformen bewanderte Frau in eine Familie mit Geld und Prestige einheiraten kann? Willkommen in der gläsernen Zenana.
    Die klugen Frauen unterhalten sich nun über eine Witwe, die sie kennen, eine kompetente Frau, eine Shivaji-Aktivistin, recht intelligent. Kaum vom Verbrennungsplatz am Ghat zurück, und was sagt man dazu? Bankrott. Keine einzige Paisa. Auch das letzte Möbelstück als Sicherheit verpfändet. Zweitausendsiebenundvierzig, und trotzdem kann eine gebildete Frau plötzlich auf der Straße landen. Wenigstens muss sie nicht zu den ... ihr wisst schon. Den »O«-Leuten. Hat jemand in letzter Zeit etwas von ihr gehört? Muss demnächst mal nach ihr sehen. Mädchen müssen zusammenhalten. Solidarität und so. Man kann Männern einfach nicht vertrauen.
    Musiker nehmen ihre Positionen auf dem Pandal ein, stimmen, tauschen ein paar Noten aus. Shaheen Badoor Khan wird sich davonmachen, wenn Mumtaz Haq an der Reihe ist. Neben dem Tor steht ein Baum, dort kann er sich im Schatten verstecken, und wenn der Applaus beginnt, schlüpft er hinaus und ruft sich ein Taxi. Noch jemand hat die Gelegenheit erkannt, ein Mann im zerknitterten Anzug eines Beamten, eine volle Flöte Omar Khayyam in der Hand. Die Finger am Glas wirken recht kultiviert, genauso wie seine Gesichtszüge, obwohl er einen kräftigen Bartschatten hat. Seine Augen sind groß und animalisch, mit einem animalisch furchtsamen Blick, auf die Art, wie Tiere instinktiv erst einmal alles fürchten.
    »Gefällt Ihnen die Musik nicht?«, fragt Shaheen Badoor Khan.
    »Ich ziehe die klassische Richtung vor«, sagt der Mann. Sein Tonfall deutet auf eine englische Ausbildung hin.
    »Auch ich fand schon immer, dass Indira Shankar sehr unterschätzt wird.«
    »Nein, ich meine Klassische Musik, westliche Klassik. Renaissance, Barock.«
    »Ich weiß, dass es sie gibt, aber ich konnte mich nie damit anfreunden. Ich fürchte, in meinen Ohren klingt das alles viel zu hysterisch.«
    »Damit meinen Sie die Romantik«, sagt der Mann mit einem stillen Lächeln, aber er hat entschieden, dass Shaheen Badoor Khan und ihn eine gewisse Seelenverwandtschaft verbindet. »Und in welchem Bereich sind Sie tätig?«
    »Ich bin Staatsdiener«, sagt Shaheen Badoor Khan.
    Der Mann denkt kurz über seine Antwort nach. »Ich ebenfalls«, sagt er dann. »Darf ich fragen, in welchem Ressort?«
    »Informationsmanagement«, sagt Shaheen Badoor Khan.
    »Schädlingsbekämpfung«, sagt der Mann. »Also trinken wir auf unsere Gastgeber.« Er hebt sein Glas, und Shaheen Badoor Khan bemerkt, dass der Anzug des Mannes mit Staub und Ruß verschmutzt ist.
    »In der Tat«, sagt Shaheen Badoor Khan. »Wirklich ein Glückskind.«
    Der Mann verzieht das Gesicht. »Darin kann ich Ihnen nicht beipflichten, Sir. Ich habe ein großes Problem mit der Geneline-Therapie.«
    »Warum das?«
    »Es ist ein Rezept für Revolution.«
    Shaheen Badoor Khan staunt über die Heftigkeit dieser Antwort.
    »Das Letzte, was Bharat braucht«, fährt der Mann fort, »ist eine neue Kaste. Auch wenn sie sich als Brahmanen bezeichnen, sind sie vielmehr die waren Unberührbaren.« Er besinnt sich. »Verzeihen Sie mir, ich weiß gar nichts über Sie, schließlich ...«
    »Zwei Söhne«, sagt Shaheen Badoor Khan. »Auf die althergebrachte Weise. Sicher an der Universität untergekommen, Gott sei gelobt, wo sie sich zweifellos jeden Abend mit solchen Themen beschäftigen, auf der Suche nach heiratsfähigem Material.«
    »Wir sind eine deformierte Gesellschaft«, sagt der Mann.
    Shaheen Badoor Khan fragt sich, ob dieser Mann ein Djinn ist, der ihn prüfen soll, weil er mit allem, was er sagt, Shaheen aus dem Herzen spricht. Er hat sich an ein jungverheiratetes Paar erinnert, mit blendenden Karriereaussichten, auf einem leuchtenden Lebensweg, die Eltern so stolz, so begeistert von ihren Kindern. Und

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