Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
CyberCrime

CyberCrime

Titel: CyberCrime Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Glenny
Vom Netzwerk:
Auf dem Weg zu den Läden sah er neben der Straße einen Mann, der mit einem Spiel beschäftigt war. Er hatte drei Becher vor sich, und unter einem davon lag ein Kieselstein. Renu sah zu, wie Menschen ihr Geld auf einen der drei Becher setzten, nachdem der geschickte Hütchenspieler sie mit unglaublicher Geschwindigkeit hin und her geschoben hatte. Renu war fasziniert und gleichzeitig erschrocken, weil die Spieler nie den Kiesel fanden – er selbst hatte jedes Mal richtig geraten. Er schlüpfte durch die Menge nach vorn und zog die zerknüllten Geldscheine seines Vaters heraus. Einer nach dem anderen verschwanden sie in den Taschen des Mannes, weil Renu dieses Mal wie seine Vorgänger nicht den richtigen Becher erraten hatte.
    Je mehr er verlor, desto hektischer tätigte er seine Einsätze. Er dachte nicht mehr an seine Verluste und konnte sich nicht bremsen – bis keine Geldscheine mehr da waren und sein kleiner, vom Adrenalin benebelter Körper in kalten Schweiß ausbrach. Im Geist sah er die Hand seines Vaters, hoch über seinen Kopf erhoben. Er beteiligte sich nie wieder an Glücksspielen.
    In den Jahren, seit sie nach Jaffna gezogen waren, hatte sich die Lage in der Hauptstadt ein wenig beruhigt; aber wie die Razzia der Soldaten in ihrem Haus deutlich machte, war die Sicherheit der tamilischen Bewohner nie vollständig gewährleistet. Dennoch blieben Renus Familie immer weniger Alternativen.
    Renu, der noch nicht einmal ein Teenager war, hatte den größten Teil seines Lebens gewissermaßen zwischen Baum und Borke verbracht und war manchmal buchstäblich nur knapp dem Kreuzfeuer entgangen. Kurz nach der Militärrazzia in ihrem Haus, bei der ein Muttermal den Jungen um ein Haar zum Terroristen gestempelt hätte, gelangte seine Großmutter zu der Einsicht, dass ein Leben für ihn als halbwüchsigen Tamilen in der Hauptstadt Sri Lankas zu gefährlich war. Er konnte entweder versucht sein, sich den Tigern anzuschließen, oder mit den nationalistischen Singhalesengruppen aneinandergeraten, die sich in der Hauptstadt herumtrieben.
    Bis 1992 hatte die Familie so viel Geld zusammengekratzt, dass sie Renu nach London schicken konnte, wo seine Tante und sein Onkel wohnten.
    Aber auch sein neues Leben auf der anderen Seite des Globus und in einem völlig unbekannten Umfeld barg seine Gefahren. An der Langdon School, einer der größten und unruhigsten Schulen im Osten Londons, stand der kleine, spindeldürre Renu zwischen zwei großen Cliquen, einer weißen und einer bengalischen. In Mathematik erbrachte er gute Leistungen und überflügelte alle Klassenkameraden, aber auf Englisch konnte er sich kaum ausdrücken. Als völliger Außenseiter wurde er erbarmungslos gehänselt, und nach einem halben Jahr weigerte er sich trotz des guten Zuredens seiner verzweifelten Tante und seines Onkels, überhaupt noch am Unterricht teilzunehmen.
    Zwei Jahre schloss Renu sich im Haus ein. Manchmal ging er wochenlang nicht an die frische Luft. Seine einzige Beschäftigung war Fernsehen – von morgens bis abends.
    Renukanth Subramaniam lernte, allein zu sein.
    Vielleicht wäre er allein geblieben, wenn sein Onkel ihn nicht irgendwann mit Gewalt in die Außenwelt zurückgeholt hätte. Genauer gesagt, schickte er ihn an das Newham College of Further Education. Dort erlernte er einige neue Fähigkeiten: wie man zwischenmenschlichen Umgang mit Gleichaltrigen pflegt, wie man Martell-Cognac trinkt und wie man Computer programmiert.
    In der örtlichen Kneipe drosch Renu in dem Spielautomaten »Street Fighter« bekifft und betrunken auf virtuelle Gegner ein. Wie viele junge Männer sind wohl besessen von dieser faszinierend gleichförmigen Herausforderung, einen Avatar in den tödlichen Kampf gegen eine Reihe gleichermaßen aggressiver Kämpfer zu führen? Zähmt so etwas die Aggression, oder leitet das Spiel ihr Vorschub? Führt der heftige Dopaminschub in den Stirnlappen des Gehirns, den solche Spiele auslösen, bei allen jungen Männern zur Sucht oder nur bei manchen?
    Renu hämmerte auf die Maschine ein, badete seinen Organismus in Adrenalin und sein Gehirn in Endorphinen. Wenn er fertig war und sein Körper noch unter Strom stand, kippte er den Martell, um das Gefühl des Wohlbefindens aufrechtzuerhalten und zur Ruhe zu kommen. Die doppelte Gewohnheit forderte allmählich ihren Tribut von seinem schmalen Etat. Street Fighter wurde zu einem immer zentraleren Bestandteil seines Lebens. Wenn er schlafen ging, tauchten die gewalttätigen Bilder

Weitere Kostenlose Bücher