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eigentlich ganz Europa mit nahezu allen notwendigen Lebensmitteln hätte versorgen können, waren dramatische Ereignisse nichts Neues. Im 20. Jahrhundert hatte es extremen Nationalismus, Autokratie, Kommunismus und Faschismus erlebt, und jede dieser Regierungsformen hatte ihre eigene Sorte von entsetzlicher Gewalt über die Bevölkerung gebracht: Bürgerkrieg, Hungersnot, Völkermord, Deportationen und weitverbreitete Armut.
Das dauerhafteste Überbleibsel dieser chaotischen Geschichte war die Teilung der Ukraine in zwei geografisch und in ihren slawischen Sprachen getrennte Lager: Westen und Osten, Ukrainisch und Russisch. Zwischen beiden liegt die Hauptstadt Kiew wie auf einer wackeligen Brücke in der Hoffnung, die beiden manchmal feindseligen Traditionen zu versöhnen. Die düstersten Tage des 20. Jahrhunderts verbinden sich im Westen des Landes für manche Menschen mit dem Faschismus und Deutschland, der Osten galt als Bollwerk Moskaus und des Kommunismus.
Nicht immer ist die Spaltung eindeutig zu erkennen: Auch im Osten gibt es Ukrainisch sprechende Gruppen, und prorussische Kandidaten bekommen im Westen oftmals unerwartet viele Wählerstimmen. Seit der Unabhängigkeit streben Kiew und die westlichen Provinzen eine engere Bindung an die Europäische Union und die NATO an, der Osten dagegen bemüht sich um engere Bande zu Russland. Viele Bewohner der Ostukraine haben noch heute das Gefühl, eigentlich zum großen östlichen Nachbarn zu gehören.
Bis 2004 verfolgten alle Regierungen und Präsidenten der Ukraine einen russlandfreundlichen Kurs, was den Osten zufriedenstellte und die ukrainischen Nationalisten im Westen störte. Entsprechend eisig waren die Beziehungen zur EU , zur NATO und zu den USA – ukrainische Regierungsvertreter, die man wegen Geldwäsche und anderer McMafia-Aktivitäten verurteilt hatte, waren in US -Gefängnissen ebenso häufig zu Gast wie im Weißen Haus.
Aber während sich Beamte, Politiker und Oligarchen die Taschen auf Kosten der normalen Bürger füllten, deren Lebensstandard vor und nach der Jahrtausendwende drastisch sank, sammelte sich eine junge politische Bewegung rund um zwei Politiker »neuen Typs«: Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko. Erst später stellte sich heraus, dass die beiden aus ganz ähnlichem Holz geschnitzt waren wie ihre Gegner. Juschtschenko geriet 2004 in die Schlagzeilen, nachdem jemand versucht hatte, ihn mit Dioxin zu vergiften, was mit ziemlicher Sicherheit das Werk des russischen KGB war. Er überlebte den Anschlag – allerdings mit stark entstelltem Gesicht – und gab bekannt, er stehe weiterhin als Präsidentschaftskandidat zur Verfügung.
Die Kampagne zur Absetzung der alten Garde regte die Fantasie vieler junger Ukrainer an, und sie machten daraus ein politisches Fest, das den Namen »Orangefarbene Revolution« erhielt. Studentische Aktivisten aus Serbien, die an der Absetzung ihres Diktators Slobodan Milošević mitgewirkt hatten, kamen nach Kiew und schulten bei ihren Fast-Nachbarn die heranwachsenden Straßenpolitiker. Neokonservative Missionare aus den Vereinigten Staaten strömten ins Land, weil sie die Gelegenheit witterten, Moskau eine blutige Nase zu verpassen und die Ukraine näher an den Dunstkreis der NATO heranzuholen.
Die plötzliche Welle der politischen Aktivität hatte von Anfang an auch internationale Auswirkungen. Im Januar 2005, als Juschtschenko endgültig zum Präsidenten und Timoschenko zur Premierministerin ernannt wurden, war die Ukraine zum Prüfstein für die sich stetig verschlechternden Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten geworden. Beide neuen politischen Führungsgestalten hatten nicht nur die Entschlossenheit der Ukraine bekräftigt, Mitglied der EU zu werden, sondern auch ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, dass das Land in nicht allzu ferner Zukunft der NATO beitreten könne. Diese Bestrebungen waren zwar zum Scheitern verurteilt (sie wurden nur von 30 Prozent der Wähler in der Ukraine unterstützt), Moskau sah in solchen Aktivitäten aber geradezu eine Kriegserklärung.
In den vier Jahren, nachdem Inspektor Greg Crabb zum ersten Mal auf Maxim Kowaltschuk – den Mann mit den gefälschten Autodesk-Produkten – gestoßen war, hatte er geduldig Beziehungen zu seinen Kollegen aus den verblüffend vielfältigen ukrainischen Ordnungsbehörden aufgebaut. Dabei hatte er zwar wichtige Kontakte hergestellt, aber seine Anträge, Dimitrij Golubow alias Script festzunehmen, hatte man höflich
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