CyberCrime
denen die meisten Erwachsenen nicht einmal wussten, dass es sie überhaupt gab. Seine Eltern hatten keine Ahnung, welche geheime Welt er von seinem Zimmer aus erkundete. Es war auch nicht damit zu rechnen, dass sie es herausfanden – das Herunterladen von Spielen und Software war eindeutig illegal und stellte eine Verletzung des Urheberrechts dar, aber solche Praktiken waren zu jener Zeit nur auf eine sehr kleine Zahl von Computernutzern beschränkt. Für die Hersteller waren sie ärgerlich, aber kein existenzbedrohendes Problem. In ihrer überwältigenden Mehrzahl wurden Spiele vollkommen legal in Geschäften oder bei Online-Händlern wie Amazon erworben.
Matrix hielt seine Tätigkeit gegenüber seinen Eltern nicht deshalb geheim, weil er sich Sorgen um die Verletzung des Rechts auf geistiges Eigentum machte. Nein – das Großartige am Internet war für einen Teenager wie ihn, dass die Eltern keine Ahnung hatten, was man tat – und sie in den meisten Fällen auch nicht haben konnten. Für Eltern war es schon schwierig genug, die Kontrolle darüber zu behalten, welche DVD s ins Haus kamen oder es verließen. Aber DVD s waren wenigstens physische Gegenstände, die eine Mutter oder ein Vater beschlagnahmen konnte, wenn sie bemerken sollten, dass ihr Dreizehnjähriger sich einen Pornofilm ansah, wobei natürlich immer die Gefahr bestand, einen heftigen Wutausbruch auszulösen.
Das alles änderte sich mit dem Internet. Kinder wuchsen jetzt in einem Cyber-Umfeld auf, das sich für sie von selbst erschloss und völlig normal war, während Eltern die Orientierung darin zunehmend rätselhaft und gefährlich fanden. Die Teenager wussten ganz genau, dass ihre Eltern sich im Internet in schwerer Cybersee befanden. Dadurch wiederum verstärkte sich bei ihnen das Gefühl, dass das Web ein Bereich ihres jungen Lebens war, aus dem man Eltern mit Fug und Recht verbannen konnte. Wie viele Mütter und Väter sind schon in ein Zimmer gekommen und haben gesehen, wie ihre Teenager kurz erröteten und den Internetbrowser minimierten? Und wenn Eltern auch nur einen Blick auf eine Facebook-Seite werfen – und selbst wenn die jungen Leute in einem öffentlichen Raum darauf zugreifen –, verwandelt sich das Kind in einen Menschenrechtsaktivisten und wirft dem überforderten Erziehungsberechtigten vor, er verhalte sich wie ein Gestapo-Beamter.
Einer anderen Tatsache jedoch waren sich viele Kinder und junge Leute viel weniger bewusst: Ihren Eltern konnten sie vielleicht Sand in die Augen streuen, es gab aber alle möglichen Leute, die sich nicht so leicht hinters Licht führen ließen – und deren Zahl nahm zu. Dazu gehörten Stalker, Werbeunternehmen, Gleichaltrige, Bauernfänger, Polizei, Lehrer und Kriminelle. Nur die schlauesten Nutzer können im Auge behalten, was sie im Web eigentlich tun.
Anders als die überforderten Eltern begannen solche anderen interessierten Gruppen mit Computerkenntnissen die digitalen Spuren, die Kinder und Jugendliche im Lauf vieler Jahre hinterließen, zu verfolgen. Zu solchen Aufzeichnungen gehörten gewöhnlich das Eingeständnis von Drogengebrauch und Trinkgelagen, die Beleidigung von Lehrern, das Mobbing von Klassenkameraden und zunehmend auch die Veröffentlichung pornografischer Selbstbildnisse. Die Eltern wussten von alledem vielleicht nichts, andere aber schon. Selbst wirklich kluge Jugendliche wie Matrix wurden manchmal selbstgefällig.
Wenn Matrix schlecht geschützte Server unter seine Kontrolle brachte, um dann Spiele darauf zu speichern und zu spielen, tat er eigentlich nichts Unrechtes. Es war zur Jahrtausendwende in Deutschland kein Verbrechen, und die Urheberrechtsfragen waren im digitalen Zeitalter undurchsichtig – Teenager und junge Erwachsene hatten bereits damit begonnen, Musikdateien über Audiogalaxy und Napster auszutauschen. Wenn man beispielsweise den Song »Bohemian Rhapsody« von Queen herunterladen wollte, wurde man von diesen Websites zu einem PC irgendwo auf der Welt weitergeleitet, auf dem das Lied gespeichert war. Mit der Website als Brücke konnte man dann eine Kopie auf den eigenen Computer herunterladen.
In sehr kurzer Zeit merkten Millionen Menschen, dass sie Musikaufzeichnungen nicht mehr kaufen mussten – alles war umsonst erhältlich! War das Filesharing, also das Austauschen von Dateien, für die Computerspielbranche nur eine Unannehmlichkeit, so stellte es für die Musikindustrie eine gewaltige Herausforderung dar. Um das Problem zu bekämpfen, mussten die
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