CyberCrime
Unternehmen dafür sorgen, dass Juristen das Urheberrecht im digitalen Zeitalter neu definierten; dann mussten sie die Gesetzgeber dazu veranlassen, in diesem Geist neue Gesetze zu verabschieden; und schließlich mussten sie die Polizei zu der Einsicht bringen, dass die Verfolgung von Digitalpiraten zu ihrem Aufgabenbereich gehörte. Außerdem musste die Musikbranche neue technische Hilfsmittel entwickeln, mit denen sich solche Praktiken verhindern ließen – was ihr bemerkenswerterweise bis heute nicht gelungen ist.
Die Praxis, kleine, leicht zu übertragende Musikdateien von einem Computer zum anderen weiterzugeben, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Der Umsatz der Musikbranche hatte in den Vereinigten Staaten 1999 mit etwas mehr als 14,5 Milliarden Dollar seinen Höhepunkt erreicht, ging aber schon im folgenden Jahr zurück – ein Trend, der sich bis heute fortsetzt.
Der unerlaubte Download der viel unhandlicheren Spiele dagegen bedeutete für den Umsatz mit physischen CD -Roms und DVD s kaum eine Einbuße; er stieg von Jahr zu Jahr. Wenn überhaupt, trugen die Downloader dazu bei, Werbung für Spiele zu machen. Über Matrix’ Internetaktivitäten kann man also nichts Schlimmeres sagen, als dass sie ihm den Schlaf raubten und dass er ihretwegen seine Hausaufgaben vernachlässigte.
Dann aber, fast ohne es selbst zu merken, schlitterte Matrix auf der schiefen Bahn weiter nach unten.
Die Werbebranche hatte das Internet entdeckt und versuchte wie alle anderen herauszufinden, wie man es am besten nutzen konnte. Das Web bot für Reklame eindeutige Vorteile; vor allem konnte man viel genauer auf ein potenzielles Publikum abzielen. Wer Windeln verkaufen will, sollte Websites meiden, die Ausrüstung für Fallschirmspringer anbieten, und sich stattdessen auf Diskussionsforen für junge Eltern konzentrieren. Wer für Werbung im Fernsehen, im Rundfunk oder auf Anschlagtafeln bezahlt, wendet sich auch an die Fallschirmspringer, was aber keinen Nutzen bringt (es sei denn, die Fallschirmspringer sind zufällig auch junge Eltern).
Zweitens kann man den Erfolg der Werbung ins Verhältnis zu ihren Kosten setzen. Jedes Mal, wenn eine junge Mama oder ein junger Papa auf die Windelwerbung klickt, wird dies sowohl beim Windelhersteller als auch bei der Werbefirma registriert. Werbefirmen und Verkäufer analysieren dann die sogenannte Click-Through-Rate ( CTR ), und so kann unser glücklicher Windelhersteller sehen, dass von 100 Besuchern der Fallschirmspringersite kein einziger auf die Windelwerbung geklickt hat. Bei dem Forum für junge Eltern dagegen haben zehn von 100 Besuchern auf die Werbung geklickt und somit für eine CTR von 10 Prozent gesorgt. Entsprechend wird das Werbeunternehmen bezahlt. Und wenig später hatte die CTR bereits den Klickbetrug hervorgebracht.
Ein Administrator eines Forums, in dem Matrix aktiv war, wirkte an einem Betrug mit. Er forderte Matrix auf, mithilfe der von ihm kontrollierten Server ein Programm einzurichten, das in bestimmten Abständen automatisch auf Banner klickte. Für jeden Klick bekam er einen Cent. Er wusste noch nicht einmal, dass er etwas Illegales tat. Der Administrator empfahl ihm ein anderes Forum, in dem solche Themen diskutiert wurden, und in diesem Forum namens CarderPlanet erfuhr er zum ersten Mal vom Kreditkartenbetrug.
Matrix überquerte den Rubikon in einem Trancezustand und nahm nicht wahr, in welchen Strudel er geraten war. Er war fast noch ein Kind und glitt langsam, ganz allmählich in die Kriminalität ab. Irgendwo im Hinterkopf wusste er vielleicht, dass etwas nicht stimmte, aber im Cyberspace sind die Grenzen verschwommen oder überhaupt nicht mehr zu erkennen.
12 Eine Reise nach Indien
Chennai, Tamil Nadu, 2001
Im Jahr 2001 hatte Renu seine Eltern und Geschwister schon seit neun Jahren nicht gesehen. Aber selbst jungen Männern wie ihm, die gelernt haben, weitgehend ohne familiäre Bindungen zurechtzukommen, bleibt manchmal nichts anderes übrig, als auf das Drängen einer Mutter zu reagieren. Nach langen Überredungsversuchen sagte er schließlich zu, das Geld aufzutreiben und ins südindische Tamil Nadu zu fliegen, um dort die ganze Familie zu besuchen.
Aber an Geld zu kommen war schwierig. In seiner Zeit an der Westminster University hatte Renu einen Job als Fahrer bei Pizza Hut. Er arbeitete ungefähr bis Mitternacht oder ein Uhr morgens und musste dann früh aufstehen, um die erste Vorlesung zu besuchen (wobei seine Pünktlichkeit allerdings im Laufe
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