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Mittelschicht: einerseits Intellektuelle, Selbstständige und Beamte, andererseits der sogenannte Tiefe Staat. Beide betrachten sowohl die AKP als auch einander mit Misstrauen.
»Tiefer Staat« ist ein zu Recht düsterer Name für den militärisch-industriellen Komplex, der in der türkischen Politik der Nachkriegszeit als höchster Schiedsrichter fungierte. Als eines von nur zwei NATO -Mitgliedern, die eine unmittelbare Grenze mit der Sowjetunion hatten (das andere war Norwegen), spielte das Land im Kalten Krieg eine Schlüsselrolle, und seine Verbündeten unter Führung der Vereinigten Staaten drückten nur allzu gern ein Auge zu, wenn das Militär sich gegenüber der eigenen Bevölkerung empörende Übergriffe leistete.
Während dieser wiederholten Eingriffe in das politische Leben schlug das Establishment der türkischen Sicherheitskräfte seine Zähne auch tief in die Wirtschaft des Landes, bis man irgendwann kaum noch zwischen Räuber und Beute unterscheiden konnte. Es schützte seine verfilzte, gewinnbringende Mitwirkung, indem es sich auf den Kemalismus berief: Wenn das Militär glaubte, seine geschäftlichen Interessen seien durch die brüchige demokratische Ordnung gefährdet, griff es ein und behauptete, das Erbe Atatürks müsse geschützt werden. Traditionell ließen die Streitkräfte nicht zu, dass irgendetwas oder irgendjemand sich ihnen in den Weg stellte. Oder, um sinngemäß ein altes türkisches Sprichwort zu zitieren: »Gib dem Tiefen Staat die Hand, und er reißt dir den Arm ab.«
Ungefähr seit 15 Jahren jedoch unternahmen aufeinander folgende türkische Regierungen eine Reihe von Reformen. Ein wichtiges Motiv waren dabei die Mitgliedschaftskriterien der Europäischen Union. Trotz aller Befürchtungen, die AKP verfolge insgeheim islamistische Ziele, setzten ihre Politiker in der türkischen Gesellschaft einige beispiellos liberale Veränderungen durch, darunter die Abschaffung der Todesstrafe. Außerdem sorgte die AKP in dem Bemühen, die Herrschaft des Gesetzes zu festigen, für einen größeren Abstand zwischen den regulären Polizeikräften des Landes und dem Militär.
Dieser Prozess führte zu einigen bemerkenswerten, höchst positiven Veränderungen. In vielen Teilen der Verwaltung setzte sich die Erkenntnis durch, dass die wichtigste Aufgabe der Beamten nicht im Bau des eigenen Nestes bestand, sondern darin, Dienstleistungen für gewöhnliche Menschen zu erbringen, und dass ein leistungsfähiger türkischer Staat seinen internationalen Einfluss und sein Ansehen stärkt.
Die allmähliche Geburt der neuen Türkei war allerdings kein schmerzloser Prozess, und das Ergebnis war nie vorherzusehen. Er war von einem politischen Titanenkampf begleitet, in dem wechselnde Bündnisse zwischen undurchsichtigen Kräften sich für jeden als tödlich erweisen konnten, der wissentlich oder unwissentlich zwischen die Fronten geriet.
Der wichtigste Schauplatz dieses Krieges wurde offiziell 2007 eröffnet, als die Ergenekon-Ermittlungen begannen. Ergenekon, eigentlich der Name einer Legende aus der alten türkischen Überlieferung, war in jüngerer Zeit die Bezeichnung für eine angebliche Verschwörung des Tiefen Staates, in der den Behauptungen zufolge führende Personen aus Militär, Geheimdienst und Politik mit dem organisierten Verbrechen, Journalisten, Anwälten und Vertretern anderer Berufsgruppen zusammenarbeiteten. Ihr Ziel bestand angeblich darin, den Einfluss demokratisch gewählter Regierungen und insbesondere der AKP zu begrenzen. Nach Angaben der Ankläger und regierungsfreundlicher Medien ging die Verschwörung aber noch weiter: Danach planten die Mitglieder von Ergenekon im Jahr 2009 einen Militärputsch, um die Macht des Tiefen Staates über die gewählte Regierung wiederherzustellen.
Seit 2007 nahm die Polizei im Rahmen der sogenannten Ergenekon-»Wellen« Hunderte von leitenden Militärs und Geheimdienstvertretern fest. Mit ihnen wurden auch Dutzende von Journalisten und Anwälten herausgegriffen, denen man vorwarf, sie würden aus finanziellen oder ideologischen Gründen mit Ergenekon zusammenarbeiten. Die kleine, aber sehr wortgewandte Gruppe der liberalen Intellektuellen und die größere Mittelschicht warnten, die demokratische Regierung greife hier auf eine Form der Einschüchterung zurück, die man in der Regel mit dem Tiefen Staat in Verbindung brachte. Den heutigen Gepflogenheiten entsprechend beruft sich die Anklage gegen Ergenekon in großem Umfang auf digitale Indizien –
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