CyberCrime
russische Carding-Szene kontrollierte, war DarkMarket jetzt der unangefochtene Vorreiter für englischsprachige Cyberkriminelle. Die Site erwirtschaftete direkt oder indirekt immer noch jeden Monat viele hunderttausend Euro an illegalen Gewinnen und war bei Cardern und Hackern so beliebt wie eh und je.
Auf DarkMarket gab es jetzt drei Schlüsselfiguren: Cha 0 , Master Splyntr und Shtirlitz. Wenig später kam der rätselhafte Lord Cyric hinzu. Cyrics Präsenz in der Carding-Szene gab gleichermaßen den Anlass zu Feindseligkeiten und Bewunderung. Diejenigen, die ihn hassten, hielten ihn für den FBI -Spitzel Mularski, es bestand aber auch der Verdacht, dass Master Splyntr und Shtirlitz für die US -Polizei arbeiteten. Nur in einem waren sich alle, Polizisten wie Hacker, einig: Der größte Verbrecher, den es noch in dem Forum gab, war Cha 0 .
Im Gegensatz zu ihren dicken Akten über andere DarkMarket-Mitglieder wussten Mularski und Şen über Cha 0 nur zwei Dinge sicher: Er wohnte in Istanbul, und er betrieb ein florierendes Geschäft mit dem Verkauf sogenannter »Skimmer«, jener unentbehrlichen Hilfsmittel für die Betrüger des Plastikzeitalters. Die Polizisten kannten aber weder den Klarnamen von Cha 0 noch seine physische Adresse, seine IP -Adresse oder mögliche Mitarbeiter. Entweder existierte Cha 0 überhaupt nicht (was keineswegs unmöglich war), oder er machte niemals Fehler.
Wenn die zweite Möglichkeit zutraf, hatte Cha 0 offenbar ein System zur Verschleierung seiner digitalen Spuren so weit perfektioniert, dass die forensischen Spürhunde seinen Aufenthaltsort nicht ausfindig machen konnten. Einen Teil dieser Tarnung lieferte Grendel, der bei DarkMarket (gegen Bezahlung) in seiner Freizeit aushalf. Das Ironische daran: Grendel stellte auch das Abschirmungssystem bereit, das die Position von Mularskis Servern verbarg. Ursprünglich war Grendel, der im realen Leben bei einem deutschen Unternehmen für IT -Sicherheit arbeitete, von JiLsi eingeladen worden, DarkMarket diese Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Es war ironisch, aber doch auch typisch DarkMarket, dass Grendel auf der Website seine Sicherheitslösungen sowohl für Verbrecher als auch für Polizisten anbot.
Bilal Şen war es trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, den Stil von Cha 0 (oder seinen » MO « (Modus Operandi, wie es in Polizeikreisen genannt wird) mit dem irgendeines bekannten Verbrechers aus der Türkei zur Deckung zu bringen. In seinem Charakter flossen offenbar die beiden grundlegenden Aspekte der dunklen Seite des Internet zusammen: Er war ein Computerfreak mit faszinierenden technischen Fähigkeiten, gleichzeitig aber auch ein begabter Verbrecher, der noch den letzten Details Aufmerksamkeit schenkte und nichts dem Zufall überließ. Man konnte sich auch vorstellen, dass Cha 0 der Name eines gut organisierten Syndikats war, die linguistische Analyse ließ allerdings stark darauf schließen, dass alle seine Postings und Nachrichten im Internet von derselben Person formuliert wurden.
Als Bilal nun aus Istanbul die Nachricht erhielt, dass Cha 0 »einer der schweren Jungs« war, machte er sich nicht nur Sorgen, sondern er wusste, dass er von jetzt an selbst in einem Land, das so schnell modernisiert wurde wie die Türkei, besonders vorsichtig vorgehen musste.
Nach der Jahrtausendwende war die Türkei zunehmend zu einem attraktiven Revier für Hacker, Cracker und Cyberkriminelle geworden. Ende der 1990er Jahre hatte sich ein großer Teil der kriminellen Internetaktivitäten in bestimmten Regionen der sogenannten BRIC -Staaten gehäuft. Diese Abkürzung hatte ein Wirtschaftswissenschaftler der Bank Goldman Sachs für Brasilien, Russland, Indien und China geprägt; er sah darin die führenden Staaten der sogenannten Schwellenmärkte und die zweite Reihe der Mächte nach den G8 (wobei Russland allerdings zu beiden Gruppen gehört).
Die BRIC -Staaten hatten wichtige gesellschaftliche und wirtschaftliche Merkmale gemeinsam. Ihre Wirtschaft wuchs und öffnete sich nach Jahrzehnten der Stagnation. Ihre große Bevölkerung sorgte mit gemeinsamen Anstrengungen für gewaltige Wachstumsraten, und der Übergang zum Status eines dynamischen globalen Akteurs war vom Wiederaufleben eines überschwänglichen und manchmal aggressiven Nationalismus begleitet. Die Bildungssysteme vermittelten eine ausgezeichnete grundlegende Qualifikation. Dies aber führte in Verbindung mit einem extrem ungleichmäßig verteilten Reichtum zur
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