Cyberspace
eine Einheit mit dem
Angorapullover bildete. Da zeichnete sich weder Tasche noch Börse ab. Aber eine Art Schlitz tat sich auf. Er öffnete sich, als der Mann mit den Fingern hineingriff, und spie Geld aus. Drei gefaltete Scheine ließen sich mühelos herausziehen. Die Scheine waren noch etwas feucht. Sie trockneten, während der
Mann sie entfaltete, wie die Flügel eines frisch geschlüpften Schmetterlings.
»Stimmt so«, sagte der zugehörige Mann und kletterte aus dem Wagen. Antoinette stieg aus, danach Coretti, der nur den Schlitz vor Augen hatte. Die feuchte, rotgefaßte Kiemenspalte.
Das Foyer war leer, und der Nachtportier saß über einem Kreuzworträtsel. Das Paar glitt lautlos durchs Foyer und in einen der Aufzüge, und Coretti folgte ihnen dichtauf. Einmal versuchte er, einen Blick von ihr zu erhaschen, aber sie ignorierte ihn. Und während der Aufzug sieben Etagen höher fuhr, als wie Coretti hätte müssen, beugte sie sich einmal vor und schnupperte am,
Aschenbecher, der in die verchromte Wand eingelassen war, wie ein Hund am Boden schnuppert.
Im Hotel ist es spät nachts nie still. In den Korridoren ist's nie ganz ruhig. Da wird tausendfach leise gestöhnt, mit dem Bettzeug geraschelt oder fragmentarisch im Schlaf gesprochen. Im Flur des neunten Stocks jedoch schien Coretti lautlos durch ein völliges Vakuum zu gleiten; seine Schuhe machten keinerlei Geräusch auf dem farblosen Teppich, und selbst das Schlagen seines Außenseiterherzens wurde aufgesogen vom vagen Muster auf den Tapeten.
Er versuchte die kleinen Plastikovale zu zählen, die an die Tür geschraubt waren und jeweils drei Ziffern aufwiesen, aber der Korridor schien endlos weiterzugehen. Schließlich hielt der Mann vor einer Tür an, die wie alle andern mit Rosenholznachbildung furniert war, und drückte die flache Hand aufs Metallschloß. Nach einem kurzen Kratzgeräusch klickte das Schloß und sprang die Tür auf. Als der Mann die Hand zurückzog, sah Coretti einen pinkgrauen, schlüssel-förmigen Knochenspan naß im blassen Fleisch verschwinden.
Kein Licht brannte in dem Zimmer, aber der schwache Neonlichterschein der Stadt fiel durch die Jalousien herein, so daß er zumindest die Gesichter von einem Dutzend oder mehr Leuten sehen konnte, die auf dem Bett und dem Sofa und in den Sesseln und auf den Stühlen in der
Küchenzeile hockten. Zuerst glaubte er, ihre Augen seien offen, aber dann bemerkte er, daß die trüben Pupillen von einer Nickhaut verschlossen waren, einem dritten Lid, das den bunten
Neonschein vom Fenster reflektierte. Ihre Kleidung war ganz auf die letztbesuchte Bar
abgestimmt: formlose Heilsarmeemäntel saßen da neben greller City-Freizeitmode, Abendkleider neben staubigen Arbeitsklamotten, Lederkluft neben Harris-Tweed. Mit dem Schlaf war die
falsche Menschlichkeit verschwunden.
Sie hockten da wie die Hühner auf der Stange.
Sein Paar setzte sich auf die Formica-Arbeitsfläche der Küchenzeile, und Coretti blieb zögernd auf dem leeren Teppich stehen. Lichtjahre von Teppich schienen ihn von den ändern zu trennen, aber irgend was rief ihm über die Kluft zu und verhieß Ruhe und Frieden und Zugehörigkeit.
Und trotzdem zögerte er noch, zitterte vor Unschlüssigkeit, die vom genetischen Kern einer jeden seiner Körperzellen auszugehen schien.
Bis sie die Augen öffneten - alle gleichzeitig. Die Nickhaut schob sich zur Seite und enthüllte die befremdende Ruhe der Bewohner des dunkelsten Meeresgrabens.
Coretti schrie und rannte fort, floh durch Korridore und Betontreppen hinunter in den kühlen Regen und die fast menschenleeren Straßen.
Coretti kehrte nie in sein Zimmer im dritten Stock dieses Hotels zurück. Ein gelangweilter Hausdetektiv kassierte die Linguistik-Bücher und den einzigen Koffer mit Kleidung ein und gab's zur Versteigerung. Coretti nahm ein Zimmer in einer Pension, die von einer verbitterten
baptistischen Abstinenz-lerin geführt wurde, die ihre Zimmerbewohner betend zum verkochten Dinner führte. Es störte sie nicht, daß Coretti nie an diesen Mahlzeiten teilnahm; er entschuldigte sich damit, daß er in der Arbeit freies Essen bekomme. Er log viel und gut. In der Pension trank er keinen Tropfen und kam nie angetrunken heim. Mr. Coretti war ein bißchen komisch, aber er zahlte stets pünktlich die Miete. Und er war sehr leise.
Coretti suchte nicht mehr nach ihr. Er ging in keine Bars mehr. Er trank aus der Tüte auf dem Weg von oder zur Arbeit. Er war Lagerarbeiter bei einem Verlag
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