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Cyberspace

Cyberspace

Titel: Cyberspace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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in einem Gewerbegebiet, wo für Bars wenig Platz war.
    Er arbeitete Nachtschicht.
    Wenn er dann beim Morgengrauen auf der Kante seines ungemachten Betts kauerte und langsam eindöste - er schlief neuerdings nicht mehr im Liegen -, dann dachte er zuweilen an sie.
    Antoinette. Und die andern. Die Zugehörigen. Manchmal phantasierte er verträumt ...
    Vielleicht waren sie wie die Hausmaus, wie das kleine Getier, das sich in der Evolution
    menschliche Behausungen zum Lebensraum erkor.
    Eine Spezies, die nur von alkoholischen Getränken lebt. Ihr eigenartiger Metabolismus gewinnt aus dem Alkohol und den diversen Proteinen in Cocktails, Wein und Bier alle erforderlichen Lebensbausteine. Und sie verändern zur Tarnung die Erscheinung wie das Chamäleon oder der Steinfisch. Damit sie unter uns leben können. Und vielleicht wachsen sie in Schüben heran. Im Anfangsstadium erscheinen sie wie Menschen und essen, was die Menschen essen, wobei sie den Unterschied nur durch die unbehagliche Einsicht ahnen, daß sie Außenseiter sind.
    Eine Spezies mit eigenen Listen, eigenen urbanen Instinkten. Und der Fähigkeit, seinesgleichen zu erkennen, wenn in der Nähe. Vielleicht.
    Vielleicht auch nicht.
    Coretti schlief ein.
    An einem Mittwoch in der dritten Woche nach Antritt der Stelle öffnete die Vermieterin, die nie anklopfte,seine Zimmertür und sagte, es sei jemand für ihn am Telefon. In ihrer Stimme
    schwang das übliche Mißtrauen mit. Coretti ließ sich durch den düsteren Flur zum Wohnzimmer im zweiten Stock führen, wo das Telefon stand.
    Als er den altmodischen schwarzen Hörer ans Ohr schob, hörte er zunächst nur Musik, dann eine Geräuschkulisse, die sich in fragmentarisches Stimmengewirr auflöste. Lachen. Niemand
    meldete sich im Kneipenlärm, aber der Song im Hintergrund war:
    »You're the reason our kids are ugly.«
    Und das Besetztzeichen, nachdem aufgelegt worden war.
    Später, als Coretti wieder in seinem Zimmer war und den Schritten der Vermieterin im Raum darunter lauschte, sah er ein, daß er hier nicht länger zu bleiben brauchte. Der Ruf war erfolgt.
    Allerdings verlangte die Vermieterin die Kündigung drei Wochen im voraus, wenn jemand
    ausziehen wollte. Das bedeutete, daß Coretti noch eine Mietschuld hatte. Sein Instinkt sagte ihm, ihr den Betrag dazulassen.
    Ein christlich angehauchter Arbeiter im Nachbarzimmer hustete im Schlaf, als Coretti aufstand und hinunter zum Münztelefon in der Diele ging. Coretti erklärte dem Nachtschichtleiter, daß er seinen Job hinschmeiße. Er hängte ein und ging in sein Zimmer zurück, schloß die Tür hinter sich ab und zog sich langsam aus, bis er nackt vor dem üppig gerahmten Jesusbild über dem braunen Aktenschrank aus Stahl stand.
    Und dann zählte er neun Zehner in die Hand und legte sie neben die Plakette mit den Betenden Händen auf den Aktenschrank.
    Es war tadelloses Geld. Völlig in Ordnung. Er machte es selber.
    Diesmal war ihm nicht nach alberner Konversation zumute. Sie hatte einen Margarita getrunken, und er bestellte sich das gleiche. Sie bezahlte, indem sie flugs in den knappen Ausschnitt mit dem hüpfenden Busen faßte. Er sah gerade noch, wie sich die Kiemenspalte dort schloß.
    Erregung machte sich in ihm breit, aber irgendwie führte sie diesmal nicht zu einer Erektion.
    Nach dem dritten Margarita berührten sich ihre Hüften, und er wurde von einem langsam
    aufwogenden Orgasmus durchzuckt. Es war klebrig, wo sie sich berührten; an einer
    daumenbreiten Stelle hatte sich die Kleidung geöffnet. Er war zwei Menschen; der innere, der sich in vollständiger zellularer Verschmelzung mit ihr vereinigte, und der äußere, der als Hülle lässig auf dem Barhocker saß, die Ellbogen links und rechts von seinem Drink aufstützte und mit dem Rührstäbchen spielte. Gelassen vor sich hin lächelte im kühlen Halbdunkel.
    Und ein Mal, ein Mal nur meldete sich eine besorgte innere Stimme und veranlaßte Coretti, hinunterzublicken, wo rubinrote Röhren pulsierten, scharflippige Tentakel im Dunkeln zwischen ihnen zugange waren. Wie die zueinander greifenden Tentakel zweier wunderlicher
    Seeanemonen.
    Sie paarten sich, und keiner merkte es.
    Und der Barkeeper, der den nächsten Drink brachte, setzte sein müdes Lächeln auf und sagte:
    »Gießt schon wieder, was? Hört wohl nie mehr auf.«
    »Geht schon die ganze verdammte Woche so«, erwiderte Coretti. »Pißt um die Wette.«
    Und er sagte es richtig. Wie ein echter Mensch.
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