Cyberspace
meiner Kabine und ließ die Lampen ein paar Sekunden an-und ausgehen, bis dann ihr grelles Licht auf die Bilder der
Heiligen Olga fiel, die Charmian aufs Schott geklebt hatte. Dutzende Bilder, Porträts aus Zeitungen und Hochglanzmagazinen. Unsre liebe Frau der Straße.
Oberstleutnant Olga Tovjewsky, jüngste Frau dieses Ranges im russischen Weltprogramm, war solo in einer modifizierten Aljut 6 unterwegs zum Mars. Durch die Umrüstung war es möglich, den Prototyp eines neuen Luftwäschers mitzuführen, der im für vier Mann ausgelegten Marsorbit-Labor der UdSSR getestet werden sollte. Sie hätten die Aljut ebensogut von
Tsiolkowsky fernsteuern können, aber Olga wollte genau Logbuch führen. Freilich wurde dafür gesorgt, daß sie ausrei-chend beschäftigt war; man verpaßte ihr eine Reihe von Strahlungsversuchen im Wasserstoff-Band, wobei es sich um eins der letzten Experimente in einem sowjetisch-australischen Austauschprojekt wissenschaftlicher Art handelte. Olga wußte, daß ihre Funktion bei den Versuchen von jedem ordinären Zeitschalter hätte erledigt werden können. Aber sie war ein gewissenhafter Arbeiter; sie drückte die Knöpfe exakt in den vorgeschriebenen Intervallen.
Sie trug das zurückgekämmte braune Haar in einem Netz, womit sie wohl aussah wie das
3UDZGDOGRO vom Arbeiter im All und leicht der fotogenste Kosmonaut unabhängig vom
Geschlecht war. Den Blick auf den Zeitmesser der Aljut gerichtet, hielt sie die Hand über den Knöpfen, die den ersten Strahlungsblitz auslösen würden. Oberstleutnant Tovjewsky hatte keine Ahnung, daß sie sich der Stelle im All näherte, die bald als Straße bekannt sein würde.
Als sie mit einer Kombination aus sechs Knöpfen den Auslöser betätigte, überwand die Aljut diese letzten Kilometer und strahlte den Blitz ab, einen Dauerblitz von Strahl-ungsenergie bei 1420 Megahertz, der radiologischen Frequenz des Wasserstoffatoms. Tsiolkowskys Radioteleskop empfing das Signal und leitete es weiter auf geosynchrone Fernmeldesatelliten, die es verstärkten und auf Stationen im Ural und in New South Wales abstrahlten. 3,8 Sekunden lang wurde das Bild der Aljut vom Nachbild des Blitzes überblendet.
Als das Nachbild von den Erdmonitoren verschwand, war auch die Aljut verschwunden.
Im Ural biß ein georgischer Techniker das Mundstück seiner liebsten Meerschaumpfeife ab. In New South Wales begann ein junger Physiker auf seinen Monitor einzuhämmern wie ein Flipperspieler, der sich übers AUS ärgert.
Der Aufzug, der mich in den Himmel bringen sollte, sah aus wie Hollywoods beste Bauhaus—
Kulisse von einem Mumienschrein - ein schmaler, aufrechter Sarkophag mit Plexiglasdeckel.
Dahinter schloß sich eine Flucht identischer Consolen mit bilderbuchmäßiger Perspektive an.
Das übliche Volk von Technikern in gelben, papierenen Clownanzügen schwirrte zielstrebig
umher. Ich bemerkte Hiro in blauem Denim; unter dem offenen Cowboyhemd mit
Perlmuttknöpfen trug er ein ausgewaschenes UCLA-Sweatshirt. Da er sich ganz auf einen
Menschenstrom im Monitor konzentrierte, bemerkte er mich nicht. Niemand bemerkte mich.
Da stand ich also und starrte zur Decke, zum Boden des Himmels. Es war nichts Besonderes zu sehen. Unser dicker Zylinder besteht eigentlich aus zwei ineinandergeschobenen Zylindern. Hier unten im äußeren -wir erzeugen unser eigenes »Unten« durch Axialrotation - befinden sich die profanen Komponenten unsrer Operation: Schlafräume, Cafeterias, das Luftschleusendeck, wo zurückkehrende Schiffe andocken, die Fernmeldezentrale und die psychiatrischen Stationen, die ich geflissentlich meide.
Himmel, der innere Zylinder, das unwahrscheinlich grüne Herz dieser Anlage, ist der reife Disney-Traum der Heimkehr, das gierige Ohr der informationshungrigen Globalwirtschaft. Ein ständiger Strom roher Daten ergießt sich auf die Erde, eine Flut von Gerüchten und Getuschel über transgalaktischen Verkehr. Ich lag oft steif in meiner Hängematte und spürte den Druck der vielen Daten, spürte sie durch die Leitungen huschen, die ich mir hinter den Schotten vorstellte, Leitungen wie Sehnen, die sich dehnend spannen, um sich plötzlich zusammenzuziehen und mich zu erdrücken. Dann zog Charmian bei mir ein, und als ich ihr von meinen Ängsten erzählte, machte sie einen Zauber dagegen, indem sie die Bilder der Heiligen Olga aufhängte. Und damit legte sich der Druck und verschwand.
»Schalt 'nen Dolmetscher zu, Toby! Brauchst heut' morgen vielleicht Deutsch.« Seine
Weitere Kostenlose Bücher