Cyberspace
'nen Prozeß. Schnurstracks 3VLNXVND© Der finstere Spitzname für die politischen Psychiatrie-Einrichtungen schien dem Jungen ordentlich Angst zu machen. Korolew stocherte lustlos in seinem gestockten Chlorella-Pudding herum.
Stoika schnappte sich eine daherschwebende Schleife Endlospapier und las laut vor:
»Verfolgungswahn, gepaart mit einer Tendenz zur Überbewertung eigener Ideen.
Revisionistische Phantasien, die dem Sozialstaat abträglich sind.« Er zerknüllte das Papier.
»Wenn wir das Kommunikationsmodul in die Hand bekämen, könnten wir uns an einen
amerikanischen Fernmeldesatelliten hängen und ihnen die ganze Kiste zuspielen. Vielleicht würde das Moskau beweisen, wir abträglich wir wirklich sind.«
Korolew fischte eine gestrandete Fliege aus seinem Grünalgenpudding. Die doppelten
Flügelpaare und der gegabelte Thorax waren stumme Zeugen für Kosmograds hohe
Strahlungswerte. Die Insekten waren bei einem längst vergessenen Experiment entschlüpft; seit Jahrzehnten bevölkerten sie nun die Station. »Die Amis haben kein Interesse an uns«, sagte Korolew. »Moskau kann eine solche Enthüllung nicht länger in Verlegenheit bringen.«
»Außer wenn die Getreidelieferungen fällig sind«, wandte Grischkin ein.
»Die Amis sind auf den Verkauf ebenso angewiesen wie wir auf den Zukauf.« Korolew löffelte finster Grünalgen in den Mund, kaute mechanisch und schluckte. »Die Amis könnten gar nicht zu uns kommen, selbst wenn sie wollten. Canaveral ist eine Ruine.«
»Wir sind knapp mit Treibstoff«, sagte Stoika.
»Den können wir von den verbliebenen Fähren nehmen«, meinte Korolew.
»Und wie, zum Teufel, sollen wir dann je runterkommen?« Grischkins Fäuste zitterten. »Selbst in Sibirien stehn Bäume, Bäume. Der Himmel! Verdammt noch mal! Lassen wir es abstürzen!
Abstürzen und verglühn!«
Korolew spritzte Pudding aufs Schott.
»O Gott«, sagte Grischkin, »tut mir leid, Korolew. Ich weiß, du kannst nicht zurück.«
Als er das Museum betrat, sah er die Pilotin Tatjana vor dem verhaßten Bild der Marslandung schweben; ihre Wangen waren feucht von Tränen.
»Weißt du, Korolew, daß in Baikonur eine Büste von dir steht? In Bronze. Ich bin auf dem Weg zum Unterricht immer daran vorbeigegangen.« Ihre Augen waren blutunterlaufen vom fehlenden Schlaf.
»Gibt immer Büsten. Eine Akademie braucht sie.« Er nahm lächelnd ihre Hand.
»Wie war das seinerzeit?« Sie betrachtete nach wie vor das Bild.
»Kann mich kaum noch erinnern. Ich hab inzwischen so oft die Filme gesehen, daß ich mich statt dessen an sie erinnere. Heute weiß ich nicht mehr über den Mars als ein Schulkind.« Wieder lächelte er sie an. »Aber so wie auf diesem schlechten Bild war's nicht. Trotz allem weiß ich das jedenfalls ganz genau.«
»Warum hat es sich so entwickelt, Korolew? Warum hört es hier auf? Als ich ein Kind war, sah ich das alles im Fernsehen. Unsre Zukunft im Weltraum schien ewig zu währen ...«
»Vielleicht hatten die Amis recht. Die Japaner schickten ersatzweise Maschinen hoch, Roboter, die ihre Fabriken im Orbit bauten. Der Bergbau auf dem Mond war ein Fehlschlag für uns, aber wir rechneten uns immerhin permanente Forschungsmöglichkeiten aus. Hängt wohl alles von
denen ab, die den Geldbeutel verwalten, die am grünen Tisch sitzen und Entscheidungen
treffen.«
»Das ist ihre endgültige Entscheidung bezüglich Kosmograd.« Sie reichte ihm einen gefalteten Zettel.
»Fand ich unter Jefremows ausgedruckten Befehlen von Moskau. Sie lassen in den kommenden
drei Monaten Kosmograds Umlaufbahn abfallen.«
Er ertappte sich dabei, jetzt selber auf das verabscheute Bild zu starren. »Spielt auch keine Rolle mehr«, hörte er sich sagen.
Und dann brach sie schluchzend in Tränen aus und vergrub das Gesicht in Korolews
verkrüppelter Schulter.
»Aber ich hab da einen Plan, Tatjana«, sagte er und streichelte ihr Haar. »Hör zu!«
Er blickte auf seine alte Rolex. Sie waren gerade über Ostsibirien. Er erinnerte sich gut, wie der Schweizer Botschafter ihm die Uhr in einem grandiosen Kuppelsaal des Großen Kremlpalastes präsentiert hatte.
Es war Zeit zu beginnen.
Er glitt aus seiner Saljut ins Kugeldock, wobei er nach der Endlospapierfahne schlug, die sich um seinen Kopf wickeln wollte.
Er konnte trotz allem noch schnell und gut arbeiten mit seiner gesunden Hand. Lächelnd holte er eine große Sauerstoff-flasche aus ihrem Haltenetz. Er verkeilte sich an einem Haltegriff und schleuderte die
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