Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cyberspace

Cyberspace

Titel: Cyberspace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
größter Wunsch war, ins Museum zurückzukehren und zu schlafen.
    Die Leckstellen konnte er mit Dichtungsmasse schließen, gegen die zusammengebrochenen
    Systeme konnte er allerdings nichts ausrichten. Er hatte immerhin Gluschkos Garten. Gemüse und Algen stellten sicher, daß er nicht verhungern oder ersticken würde. Das
    Kommunikationsmodul war mit dem Kanonenboot und dem Quartierring draufgegangen, als
    Tatjanas Sojus selbstmörderisch gegen diese prallte und sie von der Station absprengte. Er vermutete, daß der Zusammenprall die Umlaufbahn von Kosmograd nachteilig beeinflußt hatte, konnte aber nicht bestimmen, wann es zur letzten heißen Begegnung der Station mit der oberen Erdatmosphäre kommen würde. Er war neuerdings oft krank und glaubte schon, vor dem
    Verglühen sterben zu müssen, was ihn bedrückte.
    Er verbrachte ungezählte Stunden vor dem Bildschirm, wo er die Videobänder der
    Museumsbibliothek sichtete. Eine passende Beschäftigung für den letzten Menschen im All, der einst der erste Mensch auf dem Mars gewesen war.
    Zur Obsession wurde das Material über Gagarin; immer wieder schaute er sich die körnigen
    Fernsehbilder aus den Sechzigern an, die Nachrichtensendungen, die unweigerlich auf den Tod des Kosmonauten hinausliefen. Die stickige Luft von Kosmograd atmete Märtyrergeist. Gagarin, die erste Saljut-Besatzung, die Amerikaner, die bei lebendigem Leibe in ihrer plumpen Apollo gebraten wurden ...
    Oft träumte er von Tatjana, von ihren Augen, die den gleichen Blick hatten, den er in die Augen der Porträts im Museum hineininterpretierte. Und einmal erwachte er - oder träumte davon - in der Saljut, in der sie geschlafen hatte; er trug seine alte Uniform und auf der Stirn eine batteriebetriebene Arbeitslampe. Aus der Ferne - wie auf dem Monitor im Museum - sah er sich den Stern des Tsiolkowsky-Ordens von der Brust reißen und an Tatjanas Pilotendiplom heften.
    Als das Klopfen ertönte, wußte er, das müsse auch ein Traum sein.
    Die Luke wurde aufgedreht.
    Im bläulich flackernden Lichtschein eines alten Films sah er, daß die Frau eine Schwarze war.
    Lange Korkenzieher aus krausem Haar standen von ihrem Kopf ab wie Kobras. Sie trug eine
    Schutzbrille und einen seidenen Fliegerschal, der in der Schwerelosigkeit hintendreinschwebte.
    »Andy«, sagte sie in Englisch, »sieh dir das mal an!«
    Ein kleiner, muskulöser, fast kahlköpfiger Mann, der nur ein Sportsuspensorium und einen
    Werkzeuggürtel am Körper trug, tauchte hinter ihr auf und lugte herein. »Lebt er?«
    »Natürlich lebe ich«, sagte Korolew in fast akzentfreiem Englisch.
    Der Mann, der Andy hieß, schwebte über ihren Kopf hinweg herein. »Alles okay, Freund?« Sein rechter Bizeps war tätowiert mit einem geodätischen Ballon über gekreuzten Blitzen und dem Text SUNSPARK 15, UTAH. »Wir haben nicht damit gerechnet.«
    »Ich auch nicht«, erwiderte Korolew zwinkernd.
    »Wir wollen hier wohnen und leben«, sagte die Frau, die näherkam.
    »Wir kommen von den Ballons. Sind praktisch In-standbesetzer. Haben gehört, daß die Station aufgegeben wurde. Weißt du, daß die Kiste an Höhe verliert?« Der Mann schlug tollpatschig einen Purzelbaum, daß das Werkzeug am Gurt nur so klapperte. »Die Schwerelosigkeit ist
    einfach toll.«
    »Mein Gott«, meinte die Frau, »kann mich gar nicht daran gewöhnen. Ein herrliches Gefühl. Wie der freie Fall beim Fallschirmspringen, aber ohne Wind.«
    Korolew sah den Mann an, der den unbändigen, sorglosen Blick eines Draufgängers hatte, der seine Freiheit liebt. »Aber ihr habt nicht mal 'ne Raketenabschußbahn«, bemerkte er.
    »'ne Raketenabschußbahn?« sagte der Mann lachend. »Wir machen das so, daß wir diese
    Antriebsaggregate an den Leitungen zu den Ballons hochziehen, fallenlassen und mitten in der Luft zünden.«
    »Das ist verrückt«, meinte Korolew.
    »Hat uns raufgebracht, nicht wahr?«
    Korolew nickte. Wenn das ein Traum war, so ein sehr eigentümlicher. »Ich bin Juri Wasilewitsch Korolew.«
    »Mars!« Die Frau klatschte in die Hände. »Wenn das die Kinder hören!« Sie zog den kleinen Lunokhod-Mondjeep von der Wand und zog ihn auf.
    »Heh«, sagte der Mann, »ich muß was tun. Wir haben ein paar Antriebsaggregate draußen.
    Müssen die Kiste hochhieven, bevor sie zu glühen anfängt.«
    Etwas prallte gegen die Außenhülle, und Kosmograd dröhnte. »Das wird Tulsa sein«, sagte Andy nach einem Blick auf seine Armbanduhr. »Recht pünktlich.«
    »Aber warum?« Korolew

Weitere Kostenlose Bücher