Cyberspace
Flaches. Ich holte es heraus, hielt das Ding hoch. Eine Diskette, unbeschriftet.
Da lag sie auf meiner flachen Hand, die todbringende. Latent, codiert, lauernd.
Ich beobachtete dein Atmen, das Heben und Senken deiner Brust. Betrachtete deine leicht
geteilten Lippen und sah auf der vorspringenden, vollen Unterlippe die Spur einer Schramme.
Ich steckte die Diskette in deine Tasche zurück. Als ich mich neben dich legte, drehtest du dich, wach geworden, zu mir. In deinem Atem die elektrische Nacht eines neuen Asien, einer Zukunft, die in dir aufstieg wie eine klare Flüssigkeit und alles fortspülte außer den Augenblick. Das war dein Zauber, daß du außerhalb der Geschichte, jeder Gegenwart lebtest.
Und es verstandest, mich dorthin zu führen.
Ein letztes Mal dorthin führtest.
Während ich mich rasierte, hörte ich, wie du dein Make-up in meine Tasche kipptest. Ich bin jetzt Holländerin, sagtest du. Da will ich ein neues Aussehen.
Dr. Hiroshi Yomiuri verschwand in Wien, in einer stillen Gasse an der Singerstraße - gleich um die Ecke vom Lieblingshotel seiner Gattin. An einem klaren Oktober nachmittag löste sich Dr.
Yomiuri vor dutzend geschulten Augenzeugen in Luft auf.
Er trat durch einen Spiegel. Irgendwo hinter der Bühne drehten sich die geölten Räder eines viktorianischen Werks.
Ich saß in meinem Hotelzimmer in Genf und nahm den Anruf des Walisers entgegen. Erledigt; Hiroshi sei untergetaucht und schon auf dem Weg nach Marrakesch. Ich schenkte mir einen
Drink ein und dachte an deine Beine.
Fox und ich trafen uns einen Tag später in Narita an einem Sushi-Stand beim JAL-Terminal. Er war soeben mit einem Air Maroc-Jet gelandet, war erschöpft und triumphierte.
Liebt das Land, sagte er und meinte Hiroshi. Liebt sie, sagte er und meinte dich.
Ich lächelte. Du versprachst, dich in einem Monat mit mir in Shinjuku zu treffen.
Deine billige, kleine Kanone im New Rose Hotel. Das Chrom blättert schon ab. Die Mechanik ist plump, in den blanken Stahl ist verwischtes Chinesisch geprägt. Der Griff ist beidseitig mit rotem Plastik belegt, in das jeweils ein Drache modelliert ist. Wie'n Kinderspielzeug.
Fox aß Sushi im JAL Terminal und war ganz außer sich vor Freude, weil wir's geschafft hatten.
Die Schulter habe ihm Schwierigkeiten gemacht, aber das spiele keine Rolle mehr. Habe jetzt Geld für bessre Ärzte. Geld für alles.
Irgendwie bedeutete es mir nicht viel, das Geld, das wir von Hosaka kassiert hatten. Nicht daß ich unsern neuen Reichtum in Frage stellte, aber die letzte Nacht mit dir überzeugte mich, daß das alles selbstverständlich war in der neuen Ordnung, eine Funktion davon, wer und was wir waren.
Der arme Fox. Seine blauen Oxford-Hemden waren kräftiger denn je gestärkt und seine Pariser Anzüge dunkler und vornehmer. Als er da im JAL Terminal hockte und Sushi ins rechteckige
Schälchen mit grünem Meerrettich tunkte, hatte er nicht mal mehr 'ne Woche zu leben.
Dunkel jetzt. Auf die Sargreihen des New Rose Hotel leuchten die ganze Nacht über die
Scheinwerfer auf den hohen, lackierten Stahlmasten. Nichts hier scheint seinem ursprüng-lichen Zweck zu dienen. Alles überschüssig, wiederverwertet, selbst die Särge. Vor vierzig Jahren standen diese Plastiktruhen in Tokio oder Yokohama als moderne Inseln der Ruhe für reisende Geschäftsleute. Vielleicht hat dein Vater schon in so 'nem Ding geschlafen. Als das Gerüst noch neu war, umgab es den Rohbau eines verspiegelten Wolken-kratzers in der Ginza und trug ganze Handwerkerscharen.
Der Wind heut' abend trägt das Klappern aus einer Pachinko-Halle heran, den Geruch von
gedünstetem Gemüse von den Handkarren auf der andern Straßenseite.
Ich bestreiche einen orangefarbenen Reiscracker mit Krillpaste, die nach Krabben schmeckt. Ich höre die Flugzeuge.
Während dieser letzten Tage in Tokio hatten Fox und ich aneinandergrenzende Suiten im
dreiundfünfzigsten Stock des Hyatt. Kein Kontakt mit Hosaka. Sie zahlten und löschten uns dann aus ihrem Konzerngedächtnis.
Aber Fox konnte es nicht lassen. Hiroshi war sein Zögling, sein Lieblingsprojekt. Er hatte einen Besitzanspruch, ein fast väterliches Interesse an Hiroshi entwickelt. Er liebte das EXTRA an ihm. Also wünschte Fox, daß ich Kontakt hielte zu meinem portugiesischen Geschäftspartner in der Medina, der gern bereit war, Hiroshis Labor für uns im Auge zu behalten.
Wenn er anrief, dann rief er von einer Telefonzelle am Dschama al Fama an, wo im Hintergrund plärrende
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