Cyberspace
richtig angefaßt.
Unsere Hosaka-Kontakte waren wie spezialisierte Zellen zum Schutz des Elternorganismus. Wir waren Mutagene, Fox und ich, dubioses Treibgut auf der dunklen Seite des Konzern-Meers.
Als wir dich in Wien installiert hatten, boten wir ihnen Hiroshi an. Sie zuckten mit keiner Wimper. Totenstille im Hotelzimmer in L.A. Sie sagten, sie müßten es sich überlegen.
Fox nannte Hosakas Hauptkontrahenten im Genspiel beim Namen, spuckte ihn unverhüllt aus,
brach das Protokoll, das die Verwendung echter Namen untersagte.
Sie müßten es sich überlegen, sagten sie.
Fox gab ihnen drei Tage.
Eine Woche vor Wien fuhr ich mit dir nach Barcelona. Ich erinnere mich an die graue
Baskenmütze, in die du dein Haar gepackt hast, an deine hohen mongolischen Backenknochen, die sich in den Schaufenstern alter Läden gespiegelt haben. Spazierten die Ramblas hinunter zum Phönizischen Hafen, vorbei am glasbedachten Mercado, wo Orangen aus Afrika feilgeboten
wurden.
Das alte Ritz. Warm in unserm Zimmer, dunkel. Europa schien wie eine Daunendecke auf uns zu lasten. Ich konnte in dich eindringen, wenn du schliefst. Du warst immer bereit. Deine Lippen ein weiches, rundes, erstauntes O, dann vergrubst du das Gesicht im dicken weißen Kissen mit
altertümlichem Ritz-Bezug. In dir drin stellte ich mir das viele Neonlicht vor, die
Menschenmassen in der Shinjuku-Station, in der verkabelten, elektrischen Nacht. Genau so
bewegtest du dich, Rhythmus einer neuen Ära, verträumt und fern von jeglichem Boden eines Landes.
Als wir nach Wien flogen, installierte ich dich im Lieblingshotel von Hiroshis Frau. Stilles, solides Haus, Foyer mit marmornem Schachbrettboden und messingenen Aufzügen, wo's nach
Limonenöl und Zigarillos riecht. Es war nicht schwer, sie sich hier vorzustellen, wo der polierte Marmor die Glanzlichter ihrer Schaftstiefel spiegelte. Aber wir wußten, daß sie nicht mitkäme, nicht diesmal.
Sie war in irgendeinem rheinländischen Kurbad, während Hiroshi zu einer Konferenz nach Wien reiste. Als das Sicherheitsteam von Maas eingeflogen wurde, um das Hotel abzuklopfen, warst du außer Sicht.
Hiroshi traf eine Stunde später ein. Allein.
Stell dir ein Alien vor, sagte Fox einmal, das auf die Erde kommt, um die beherrschende
Intelligenzform zu bestimmen. Das Alien schaut sich kurz um und entscheidet sich. Was wählt es wohl? Ich zuckte die Achseln.
Die Zaibatsus, sagte Fox, die Multis. Zaibatsus leben durch Information, nicht durch Personen.
Die Struktur ist vom Leben der Einzelwesen, die sie ausmachen, unabhängig. Konzern als
Lebensform.
Nicht schon wieder 'ne EXTRA-Lektion, sagte ich.
Maas ist anders, sagte er, meinen Einwand ignorierend.
Maas ist klein, flink, skrupellos. Ein Atavismus. Maas ist EXTRA total.
Ich weiß noch, wie Fox Hiroshis EXTRA analysierte. Radioaktive Nucleasen, monoklonale
Antikörper, hat was mit Proteinbindungen zu tun, Nucleotiden ... Fox sprach von heiß, heißen Proteinen. Schnellen Bindungen. Hiroshi, sagte er, sei ein Freak, einer, der Grundmuster über den Haufen werfe, Weichen stelle für einen ganzen Wissenschaftszweig, ein ganzes
Wissenschaftsgebiet revolutioniere. Schlüsselpatente, sagte er, und seine Kehle war wie
zugeschnürt vom Geldregen, vom feinen Geruch nach steuerfreien Millionen, die diesem
Wörtchen anhafteten.
Hosaka wollte Hiroshi, aber sein EXTRA war so radikal, daß es ihnen Sorgen machte. Sie
wollten, daß er in Isolation arbeite.
Ich ging nach Marrakesch, in die Altstadt, die Medina. Ich fand ein Heroinlabor, das auf die Extraktion von Pheromonen umgerüstet war. Das kaufte ich mit Hosakas Geld.
Ich ging mit einem schwitzenden portugiesischen Geschäftsmann durch den Markt auf dem
Dschama al Fama und besprach die Installierung von Neonröhren und den Einbau belüftbarer
Tierkäfige. Hinter der Stadtmauer der Hohe Atlas. Auf dem Dschama al Fama wimmelte es von Gauklern, Tänzern, Märchenerzählern, kleinen Buben, die mit den Füßen Töpferscheiben
drehten, beinamputierten Bettlern mit Holzschalen unter belebten Reklame-Hologrammen für
französische Software.
Wir schlenderten vorbei an Naturwollballen, Plastikeimern voller chinesischer Mikrochips. Ich deutete an, daß meine Auftraggeber die Herstellung von künstlichem Beta-Endorphin planten.
Man muß den Leuten immer was vorsetzen, das sie verstehen.
Sandii, manchmal denk ich noch an Harajuku. Mach die Augen zu in meinem Sarg und seh dich dort in Harajuku - Glanz und Glitzer der
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