Cyboria - Die geheime Stadt
Zug konstruiert hat, hat das mit einer visionären Fantasie getan. Er wurde vor etwa hundert Jahren gebaut, um ohne Lokomotivführer über ein Schienennetz zu fahren, das extra zu diesem Zweck angelegt zu sein scheint. Das System funktioniert perfekt und muss den Überlegungen eines genialen Geistes entsprungen sein. Oder der Synthese dreier genialer Geister.«
»Die drei Gründer, genau. Habt ihr mehr über sie herausgefunden?«
»Wir wissen, dass alle drei Professoren waren. Jago meint, sie wären an einem geheimen Forschungsprojekt einer Universität beteiligt gewesen.«
»Und was haben sie gelehrt?«
»Architektur, Mathematik und Medizin.« Medea hielt ein Buch mit Schwarz-Weiß-Illustrationen hoch, auf dem ein unscheinbar wirkender Mann mit lockigen Haaren zu sehen war, dessen durchgeistigter Blick durch eine winzige Brille unterstrichen wurde. »Das ist Arnauld D’Urò, der Architekt. Wie es aussieht, war er ein leidenschaftlicher Konstrukteur von Brücken und beweglichen Gebäuden. Seine Passion waren Häuser auf Rädern und sogar solche auf Stelzen.«
Das nächste Bild zeigte ein viereckiges Gebäude, das auf trampolinähnlichen Fundamenten ruhte.
»Auf jeden Fall ein seltsamer Typ …«, meinte Otto.
»Bei Ettore Zisch müssen wir uns mit dem begnügen, was wir schon wissen, denn außer der Croissant-Maschine gibt es hier im Zug kaum Hinweise auf ihn. Sagen wir mal: kreativer Erfinder und genialer Mechaniker.«
»Und die Buwler-Lytton?«
»Ihr Vorname war Elisabeth …«, sagte Medea und hielt eine alte Zeitschrift in die Höhe. »Sie war die Tochter des Arztes Philip Buwler-Lytton und Hygienikerin der Klinik ›Faith Home for Incurable Women‹ in Brooklyn. Man nannte sie die ›Schwalbe der Kranken‹, weil sie stets elegant gekleidet durch die Krankenzimmer flatterte. Obwohl sie eine Frau war und zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte, folgte sie den Fußstapfen ihres Vaters und arbeitete an seiner Seite. Wahrscheinlich gingen ihre Forschungen über endemische Krankheiten sogar über die ihres Vaters hinaus. Ihr wisst ja, hinter einem bedeutenden Mann steht immer …«
»… ein Schatten?«
»… eine Reihe von Parasiten?«
Medea rümpfte amüsiert die Nase. »… eine Frau, meine Herren. Eine Frau! Und jetzt richtet euer Augenmerk auf eine Reihe von seltsamen Zufällen. Arnauld D’Urò starb mit einer Gruppe von Studenten bei einer Bergtour auf der französischen Seite des Mont Blanc, Ettore Zisch ist vor der sardischen Küste ertrunken … während Elisabeth, welch ein Zufall, unter mysteriösen Umständen auf einem Überseedampfer zu Tode gekommen ist. Es handelt sich um die Lusitania , die am 1. Mai 1915 in New York aufgebrochen ist und von einem deutschen U-Boot ohne bestimmten Grund vor der irischen Küste versenkt wurde.«
»Bingo«, sagte Otto, »und auf diese Weise verschwanden alle drei Professoren … und mit ihnen einige ihrer begabtesten Studenten.«
»Aber nicht Atamante«, schloss Medea, »der hat im letzten Moment entschieden, nicht mitzufahren.«
»Aus Liebe.«
»Ganz genau, aus Liebe. Wie es sich für einen guten Italiener gehört.«
»Verzeiht, wenn ich eure romantischen Gedankengänge unterbreche«, schaltete sich Jago ein, »aber auch wenn wir unterstellen, dass diese drei brillanten Köpfe wirklich unter diesen Umständen verschwunden sind … und alle von dieser Sache wussten … und diese ›Machenschaften‹, um einen Ausdruck zu benutzen, der Zisch bestimmt gefallen hätte, von Erfolg gekrönt gewesen wären … wisst ihr … was sie vorhatten?«
Tante und Neffe sahen sich an, als ob die Antwort bereits auf der Hand läge. »Cyboria gründen!«
»Eine Neue Stadt, vor allen und allem verborgen.«
»Papperlapapp«, ereiferte sich Jago, »man kann zu dritt keine Stadt gründen.«
»Sie waren neunundzwanzig«, korrigierte ihn Otto, »drei Professoren und sechsundzwanzig ausgewählte Studenten.«
»Das sind immer noch zu wenige.«
»Und doch … ist das … alles wahr«, sagte Medea leise, während der Zug dröhnend weiterbrauste, »denkt doch mal nach: Wenn ihr aus dem Nichts eine neue Stadt gründen wolltet, was bräuchtet ihr dann alles?«
»Einen Architekten für die Wohnhäuser und andere Gebäude …«, antwortete Otto und dachte dabei an die fantastischen Konstruktionen von D’Urò.
»Einen auf Hygiene spezialisierten Arzt, der für die Kanalisation, die Wasserleitungen, die Krankenhäuser und die gesamte medizinische Versorgung zuständig ist …«,
Weitere Kostenlose Bücher