Cyboria - Die geheime Stadt
achdem sie noch über ein Gewirr von Schienen und Weichen gerumpelt waren, blieb der Zug des Südens stehen. Die Tür des Waggons öffnete sich mit einem zischenden Geräusch, von den überhitzten Rädern stiegen Dampfwolken auf.
Medea, Jago und Otto waren erstaunt: Im Bahnhof war keine Menschenseele zu sehen. Die stählerne Halle hatte eine bogenförmige Dachkonstruktion und riesige Fenster, durch die gedämpftes, goldfarbenes Licht sickerte. Die Scheiben waren mit einer dicken Staubschicht bedeckt, offensichtlich waren sie seit vielen Jahren nicht mehr geputzt worden. Die Fenstereinfassungen und die Metallstreben der Bahnhofshalle waren mit rotbraunen Rostflecken überzogen.
»Wo sind wir denn hier gelandet?«, fragte Otto und stieg aus dem Zug. Das Erste, was er auf dem staubbedeckten Bahnsteig sah, war eine Tafel mit dem Bild einer von einem Kreis eingerahmten Fackel, dem Symbol von Cyboria, und direkt darunter stand das Wort »Willkommen« in fünf verschiedenen Sprachen.
Als Nächstes stieg Medea aus, während Jago unschlüssig auf der Treppe stehen blieb. »Ich denke, wir sind im Gare du Nord.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen, das sieht mir eher wie ein Geisterbahnhof aus.«
Einige aufgescheuchte Tauben flogen durch das Gebäude, dabei flatterten sie aufgeregt. Neben dem Gleis, auf dem der Zug des Südens eingefahren war, gab es drei weitere Gleise, die in verschiedene Richtungen führten.
Der Bahnhof erinnerte entfernt an einen hohen Tunnel. Ein grau gestrichenes Metallskelett mit Tausenden von Schrauben, Bolzen und Nieten bildete das Tragegerüst für die bogenförmige Dachkonstruktion. Am Ende der Bahnsteige schloss sich ein Wartesaal mit einem Springbrunnen an. Im Hintergrund waren vier große Metalltafeln zu erkennen, die die vier Bahnsteige bezeichneten. Otto ging näher, bis er sie entziffern konnte: Ihr Bahnsteig war die Süd-Linie.
»Eine Linie für jede der vier Himmelsrichtungen«, vermutete er, ohne die anderen Schilder zu lesen.
Das Bahnhofsgebäude und die Gleisanlagen waren verwaist. Die einzigen Geräusche, die zu hören waren, drangen von draußen herein: typische Großstadtgeräusche, Autoverkehr, Hupen, quietschende Bremsen.
»Das war noch ein ganz anderes Leben damals, meint ihr nicht?«, seufzte Jago und stieg ebenfalls aus.
»Ein unglaublicher Ort«, sagte Medea.
»Und jetzt? Habt ihr eine Idee, was wir jetzt machen?«, fragte Jago und strich sich verlegen über den Oberlippenbart. »Oder sollten wir … unseren Blechkumpel fragen?«
Galeno folgte ihnen auf dem Fuß, geduldig wie immer.
Otto ging weiter in die Mitte der Bahnhofshalle. Als er vor dem Springbrunnen stand, blieb er plötzlich stehen. Er hatte es klicken und quietschen gehört. »Hört ihr das auch?«, fragte er.
»Ich schon.«
»Woher kommt das?«
»Von überall und nirgends, würde ich sagen.«
»Bleibt mal stehen!«
»Was ist los?«
Dem Quietschen folgte jetzt ein metallisches Knirschen und Ächzen. Schließlich war ein schwaches »Plopp« zu hören, und aus der oberen Röhre des Springbrunnens kam ein Schwall rostfarbenes Wasser. Kurze Zeit später sprudelte es von überall aus dem Brunnen, die zunächst unregelmäßigen Wasserstrahlen verwandelten sich nach und nach in raffinierte Wasserspiele, die von einem Menuett für Klavier und Streicher untermalt wurden, das nach einem anfänglichen Krächzen melodisch aus einer Lautsprecheranlage drang.
»Donnerwetter.«
»Alles erwacht zum Leben.«
»Das heißt, sie wissen, dass wir hier sind«, meinte Medea.
»Oder es liegt an ihm«, gab Jago zu bedenken und deutete auf Galeno.
Otto war ganz anderer Meinung, sagte aber nichts. Er umfasste das Ikosaeder in seiner Hosentasche, das wieder begonnen hatte, warmes blaues Licht auszustrahlen.
Der Bahnhof schien zum Leben zu erwachen, überall begann es zu rumoren. Mini-Roboter tauchten aus niedrigen Mauernischen auf und begannen, ihre Positionen einzunehmen. Einige hatten lange Wischmopps bei sich, die sie in den Springbrunnen tauchten. Dann begannen sie den Boden zu wischen.
»Ach du Schreck, das ist ja unglaublich!«, murmelte Medea; für sie sahen die kleinen Arbeitsroboter wie Insekten mit schwarz glänzendem Rückenpanzer aus.
Otto schmunzelte, während Jago immer noch alles ins Lächerliche zog: »Wenn die wirklich funktionieren, nehme ich ein Dutzend mit nach Hause.«
Allerdings schienen die Jahre des Stillstands nicht spurlos an den Arbeitsrobotern vorübergegangen zu sein. Manch einer war
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