Cyboria - Die geheime Stadt

Körper ins Wasser gefallen wäre, zu sehen aber war niemand.
    »Vielleicht hat uns das Empfangskomitee nicht kommen hören«, sagte der Roboter, dessen Schritte dumpf von den Wänden widerhallten. »Jedenfalls … hier lang, meine Dame, meine Herren.«
    Jago und Medea wechselten einen besorgten Blick. »Vielleicht ist niemand mehr da«, murmelte Jago und umklammerte das Handtuch um seine verletzte Hand.
    Sie gingen über die Kristallbrücken nach draußen. Der Anblick, der sich ihren Augen bot, machte sie sprachlos: Was vom Meer aus wie Felszacken gewirkt hatte, waren sich nach oben verjüngende Wohnhäuser, vier und mehr Stockwerke hoch, mit langen Reihen abgedunkelter Fenster. Die Häuser standen rechts und links einer breiten Straße, die mit dichtem Gestrüpp überwuchert war.
    Galeno bahnte sich einen Weg durch das Unkraut und stieg auf einen mit Kletterpflanzen bewachsenen niedrigen Hügel, an den er sich nicht erinnern konnte. »Irgendetwas hier ist seltsam«, bemerkte er.
    Otto und Medea hasteten ihm hinterher, während Jago eine der Kletterpflanzen anhob. Ein metallisches Geräusch war zu hören. »Seht ihr?«
    Die Kletterpflanze war auf einem Haufen Roboterschrott gewachsen, aufeinandergestapelt wie Abfall auf einer Müllhalde.
    »Hallo, ist da jemand? Wir sind da!«, rief Galeno noch einmal und ging weiter.
    Sie kamen zu einem kreisrunden Platz: Die Straßen waren mit weichem Moos bewachsen und die Mauern der Häuser mit Rankgewächsen überwuchert, die sogar die Fenster bedeckten. Die Straßenlaternen waren ausgeschaltet, im trüben Dämmerlicht waren die Hängebrücken, die Türme und die in den Felsen gehauenen Wege und Treppen nur zu erahnen. Aber alles schien verlassen, keine Menschenseele weit und breit. Es war auch kein Geräusch zu hören, außer den Wellen, die monoton an die Felsklippen klatschten.
    Cyboria schien sich selbst überlassen.
    Überwältigt umrundeten sie den Platz und kamen an einen feuerroten Pfahl, an dem links und rechts zwei alte Lautsprecher hingen. Auf dem Pfahl befanden sich einige rostige Knöpfe, unter denen Hinweise in Luminario standen. Galeno brauchte nicht lange, um sie zu übersetzen.
    Schild Nr. 45
    Guten Tag, Bürger!
    Wo musst du hin?
    1 Einwanderungsbüro
    2 Regierungsgebäude
    3 Observatorium
    4 Freie Universität der Schönen Künste
    5 Rotunde
    6 Bank
    7 Krankenhaus
    8 Andere Ziele
    »Wir müssen zu Nummer eins«, sagte Otto spontan und erklärte dann, was er durch Elisabeths Stimme in der Spieluhr erfahren hatte.
    »Und warum sollten wir unsere Ankunft registrieren lassen?«, murmelte Jago. »Seht ihr denn nicht? Wir sind in einer Geisterstadt.«
    »Vielleicht schlafen alle. Vielleicht hätten wir nicht in der Nacht ankommen sollen«, sinnierte Medea, auch wenn sie selbst nicht so recht an ihre Worte glaubte.
    »Cyboria ist eine Stadt, die nie schläft«, sagte Galeno. »Unablässige Arbeit und ewige Muße.«
    »Und warum ist niemand zu sehen?«
    »Weil niemand da ist«, antwortete Otto.
    Dann drückte er Taste eins.
    Einige Minuten vergingen.
    Ein Windstoß wehte Salzgeruch vom Meer zu ihnen herüber und ließ die Ranken der Kletterpflanzen schaukeln. Der Himmel war wolkenverhangen, grau mit einem Streifen Violett.
    »Gehen wir?«, fragte Jago. »Oder sollten wir besser noch warten?«
    »Ich höre ein Geräusch«, sagte Otto.
    »Ich auch.«
    »Es kommt von dort.«
    »Dort« war eine kleine Seitenstraße, aus der kurze Zeit später eine kupferfarbene Mini-Straßenbahn mit nur wenigen Sitzplätzen auftauchte. Medea gefror das Blut in den Adern, es kam ihr vor, als würde sie ein Gespenst sehen.
    Die Bahn fuhr auf schmalen Schienen, die bis zum roten Pfahl führten. Dort angekommen blieb sie stehen und wartete.
    »Und jetzt?«, fragte Jago.
    Sie tauschten kurze Blicke und stiegen ein. Die Straßenbahn setzte sich wieder in Bewegung. Medea und Jago hielten sich an Lederschlaufen fest, die von der Decke herabhingen, während Otto und Galeno an tiefer angebrachten Griffen Halt suchten.
    »Hallo!«, rief Otto unvermittelt.
    »Was ist los?«
    Otto kniff die Augen zusammen. »Nichts, ich dachte … ich dachte, ich hätte jemanden gesehen.«
    »Wo?«
    »Auf dieser Seite.«
    Die drei blickten aus dem Fenster, konnten aber nichts erkennen.
    Otto kratzte sich am Kopf. »Entschuldigt bitte, ich muss mich getäuscht haben.« Und doch war er sicher, einen Schatten gesehen zu haben, den Schatten eines Riesen, der hinter einer Ecke hervorgeschaut und sich dann sofort wieder