Cyboria - Die geheime Stadt

genau an und zuckte dann mit den Schultern. »Zum Teufel. Was soll’s … Ich nehme den Schalter für Händler. Kommt jemand mit mir?«
    »Ich bin Archäologin, also muss ich zu den Wissenschaftlern«, gab Medea zu bedenken.
    »Wie du willst, aber ich gehe zuerst.« Jago ging durch die Tür der Händlerkorporation. Kaum hatte sie sich hinter ihm geschlossen, rief er: »Also, hier passiert gar nichts! Nein, halt! Jetzt hat sich eine Nische geöffnet … und jetzt … bekomme ich einen Schlüssel … und eine Grammofonstimme sagt etwas … ›Willkommen in Cyboria‹, vielen Dank … dir auch … geschafft! Ich gehe auf der anderen Seite wieder hinaus!«
    Medea und Otto schauten sich fragend an. Dann ging Medea auf die Tür Nummer sechs zu, sie öffnete sich und Medea war verschwunden.
    Als Otto mit Galeno allein war, fragte er neugierig: »Was bedeutet denn diese zehnte Korporation … die ohne Namen?«
    »Das Unerwartete«, antwortete der Roboter und fügte dann hinzu: »Das, was nicht vorhersehbar ist. Ehrlich gesagt, junger Herr Otto, so genau weiß ich es auch nicht, vielleicht wussten es nicht einmal die Gründer. Genau deshalb haben sie den Schalter zehn eingerichtet. In jedem System gibt es etwas, das nicht in das System passt. Oder vielleicht wollten sie einfach zehn und keine neun.«
    Otto nickte. Warum auch immer, er wählte genau diese zehnte Tür.
    »Wo ist Medea?«, fragte Otto, als er auf der anderen Seite des schmalen Korridors wieder nach draußen kam. In der Hand hielt er einen runden Schlüssel mit der Nummer 4893, in der anderen einen Zettel, auf dem der Weg zu seiner Wohnung beschrieben wurde, natürlich in Luminario.
    Jago betrachtete die Landschaft durch die Panoramafenster. Die Sonne ging gerade auf, die Wellen schienen sich in flüssiges Gold zu verwandeln und die Wolkentürme über der Insel wirkten wie Samt.
    Dann drehte er sich um: »Keine Ahnung, ich dachte, sie wäre bei dir.«
    »Nein, bei mir war sie nicht.«
    Der Raum, in dem sie sich jetzt befanden, war die exakte Kopie der Vorhalle.
    Otto zählte die Ausgänge.
    »Sie hat die Korporation der Wissenschaftler gewählt.«
    »Vielleicht ist sie noch drin.«
    »Aber sie ist doch viel früher reingegangen als ich.«
    »Medea?«, rief Jago hinter dem Ausgang der Nummer sechs.
    »Vielleicht ist sie wieder zurückgegangen?«
    »Oder sie hat sich anders entschieden.«
    Von dieser Seite konnte man die Türen nicht öffnen. Sie mussten das Gebäude verlassen und wieder zum Eingang gehen. Auf ihrem Weg kamen sie an einem Platz vorbei, auf dem mindestens zehn Mini-Straßenbahnen abgestellt waren, alle identisch mit dem Gefährt, das sie hergebracht hatte.
    »Das ist seltsam«, bemerkte Otto.
    Jago antwortete nicht, beschleunigte aber seinen Schritt.
    Der Wind nahm an Stärke zu.
    »Sie hätte uns bestimmt Bescheid gesagt, wenn sie umgekehrt wäre.«
    Sie begannen zu rennen.
    Am Eingang des Gebäudes trafen sie Galeno und fragten, ob er Medea gesehen hatte.
    Galenos Gesicht war die übliche starre Maske aus Eisen und Glas. »Nein, bedaure, Herr Jago und junger Herr Otto.«
    Medea war verschwunden.

3
Die Vermisstenstelle
    D urch die Stille der verlassenen Stadt hallten aufgeregte Stimmen, die das Pfeifen des Windes und das Rascheln der Kletterpflanzen überdeckten.
    »Medea!«
    »Tante!«
    »Frau Medea!«
    Sie durchsuchten das Einwanderungsbüro, gingen die Straßen auf und ab, spähten durch alle Fenster der Straßenbahnen auf dem Abstellplatz: keine Spur von Medea. Schließlich konzentrierten sie sich auf den Schalter für Wissenschaftler, aber hinter der Tür Nummer sechs war der gleiche schmale Korridor wie bei ihrem Schalter.
    Allerdings fiel ihnen eine Besonderheit auf, die sie beim ersten Mal übersehen hatten: Etwa in der Mitte des Korridors verliefen zwei parallele Stahlrinnen, die in den Boden eingelassen waren.
    Dienten sie der Versorgung? Oder waren es die seitlichen Begrenzungen einer Falltür?
    »Weißt du etwas darüber?«, fragten sie Galeno. »Könnte das auf eine Falltür hindeuten? Oder einen Schacht? Ist vielleicht ein Gang darunter, und wohin führt er?«
    Galeno wusste es auch nicht.
    Sie mussten es unbedingt herausfinden. Durch die massiven Seitenwände gab es keinerlei Möglichkeit, nach draußen zu gelangen. Eine Falltür war die einzig denkbare Chance.
    »Was könnte das sein? Galeno, denk nach!«
    »Es gibt natürlich viele Schächte«, schnarrte der Roboter jetzt. »Druckschächte für die Rohrpost. Schächte für die