Cyclop
Salzwasser getrübten Augen die Leine, die sich um seine Schulter legte, kaum noch sehen. Aber er sah Giordinos Grinsen, und so griff er fest zu. Sekunden später lag er auf dem Boden des wild schaukelnden Bootes und keuchte nach Luft.
»Noch eine Minute, und du wärst außer Reichweite der Leine gewesen«, schrie Giordino.
»Die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man so richtig Spaß hat«, schrie Pitt zurück.
Giordino rollte, verzweifelt über diese Bemerkung, mit den Augen und wandte sich wieder dem Motor zu.
Die größte Gefahr war jetzt, daß ihr Boot kenterte. Solange es nicht gelang, den Motor zu starten, um ihrem Schlauchboot wenigstens ein Mindestmaß an Stabilität zu geben, konnte jede nächste Woge es auf den Rücken werfen.
Die Stärke des Windes war nahezu unglaublich. Er zerrte an ihren Haaren und Körpern, die Gischt fegte über ihre Wangen, als befänden sie sich in einem Sandsturm. Das kleine Schlauchboot bog und wand sich unter dem rasenden Ansturm der Wellen, aber es schaffte es irgendwie immer wieder, an der Katastrophe vorbeizuschlingern.
Pitt kniete auf dem Gummideck, hielt sich mit der rechten Hand an der Rettungsleine fest und wandte dem Wind den Rücken zu. Dann streckte er den linken Arm aus. Es war ein alter Seemannstrick, auf den man sich in der nördlichen Hemisphäre immer verlassen konnte.
Seine linke Hand würde jetzt auf das Zentrum des Sturms deuten.
Sie befanden sich noch ein wenig außerhalb des eigentlichen Zentrums, urteilte er. Die relative Ruhe im Auge des Hurrikans würde ihnen in den nächsten Stunden keine Erleichterung bringen. Das Hauptdurchzugsgebiet lag wahrscheinlich noch gut fünfzig Kilometer Richtung Nordwesten. Also stand ihnen das Schlimmste noch bevor.
Schließlich gab Giordino Handzeichen, daß der Motor endlich lief. Im Heulen des Windes konnte niemand hören, ob er angesprungen war.
Schnell hievten Pitt und Gunn den Treibanker und die Ballastsäcke wieder an Bord.
Pitt formte die Hände zum Trichter und brüllte Giordino in die Ohren: »Reite vor dem Sturm!«
Zu kreuzen wäre unmöglich gewesen. Die verbündeten Kräfte von Wind und Wasser hätten das Boot in wenigen Minuten zum Kentern gebracht. Gegen den Sturm anzulaufen, hätte das Boot über kurz oder lang regelrecht zerschmettert. Ihre einzige Hoffnung lag darin, den Weg des geringsten Widerstandes einzuschlagen.
Giordino nickte grimmig und schwang das Ruder herum. Das Boot schoß wild bockend zur Seite und den nächsten Wogenkamm hinauf. Die See, die an ihnen vorbeirauschte, war weiß von Gischt. Alle kauerten sich flach auf den Boden des Bootes außer Giordino. Er hatte die Rettungsleine um einen Arm gewickelt und hielt unter dem anderen das Ruder des Außenbordmotors.
Der letzte Rest von Tageslicht schwand dahin, und die Nacht würde keine Stunde mehr auf sich warten lassen. Die Luft war feucht und schwer. Das Atmen fiel schwer. Die fast solide Wand von aufgepeitschtem Wasser schränkte die Sicht auf weniger als hundert Meter ein. Pitt lieh sich Gunns Tauchermaske aus, die als einzige übriggeblieben war. Es kam ihm vor, als stände er unter den Niagarafällen und versuchte nach oben zu schauen.
Giordino führte das Boot in einen Todestanz, und er wußte, daß sie eigentlich keine Chance mehr hatten. Der Hurrikan steigerte seine Kraft von Minute zu Minute. Die Wogen türmten sich immer höher auf. Daß sie bis jetzt überlebt hatten, war reines Glück, aber jede weitere Woge, die sie überstanden, führte sie dem Ende um so unausweichlicher entgegen. Eine kleine Bewegung mit dem eisern gehaltenen Ruder, und alles war vorbei. Für eine Sekunde erlaubte Giordino sich einen Blick zu den anderen, und er sah das breite, aufmunternde Lächeln in Pitts Gesicht. Falls der Freund, den er jetzt seit fast dreißig Jahren kannte, den Tod kommen sah, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Pitt winkte munter und starrte dann wieder angestrengt Richtung Bug. Giordino wunderte sich, was es dort außer Gischt zu sehen gab.
Pitt studierte die Wellen. Sie türmten sich höher und höher auf, der Wind trieb den Schaum über die Kämme. Die Abstände zwischen den Wogen wurden immer kürzer. Wie die Reihen einer stehenbleibenden Marschkolonne drängten sie sich immer enger zusammen. Der Grund kam näher. Der Wind trieb sie offenbar in niedrigeres Wasser.
Pitt starrte angestrengt, um die chaotische Wasserwand irgendwo zu durchdringen. Langsam, so als würde man beim Entwickeln eines Schwarzweiß-Fotos
Weitere Kostenlose Bücher