Cyclop
beschloß spontan, sich in den Staaten ebenfalls solchen Komfort zuzulegen. Sah man von Schrammen, blauen Flecken und einem leichten pochenden Kopfschmerz ab, fühlte er sich ganz ausgezeichnet. Der Raum wurde von einer flackernden Neonröhre beleuchtet, und während Pitt zu ihr hinaufstarrte, zogen die Ereignisse der letzten Nacht noch einmal vor seinem inneren Auge vorbei. Nachdem Jessie ihren Ehemann wiedergefunden hatte, führten die Wachen Pitt, Giordino und Gunn in eine Krankenstation, in der eine russische Ärztin von riesenhafter Statur sich über sie hermachte.
Danach hatte es zum Dinner einen Eintopf gegeben, wie man ihn nicht einmal in einem Fernfahrerimbiß des östlichen Texas jemandem vorzusetzen wagen würde. Und schließlich hatte man ihn in dieses Zimmer eingeschlossen, in dem es eine Toilette, ein Waschbecken, ein Bett und einen winzigen Wandschrank gab. Seine gefüllte Blase erinnerte Pitt daran, daß er auch nur ein Mensch war, und brachte ihn endlich in Aktion. Neben der Toilette fand er auf einem Waschtischchen seine Doxa-Uhr. Sie zeigte elf Uhr fünfundfünfzig an. Da er noch nie in seinem Leben länger als neun Stunden geschlafen hatte, nahm er an, daß es kurz vor zwölf Uhr des folgenden Tages mußte.
Nachdem er die hygienischen Möglichkeiten seines Gefängnisses so gut wie möglich genutzt hatte, entdeckte er im Wandschrank ein Khakihemd und Hosen sowie ein Paar San-dalen. Die schwere Eisentür war natürlich verschlossen, also hämmerte er auf das Metall. Ein dumpfes Dröhnen hallte von den Betonwänden.
Irgendwann erschien ein junger Mann in sowjetischer Uniform und mit einer Maschinenpistole vor dem Bauch. Er führte Pitt einen Gang hinunter, von dem weitere Eisentüren abgingen. Möglicherweise lagen dort Gunn und Giordino. Schließlich gelangten sie in einen Aufzug, vor dessen Türen weitere Wachen standen. Ein Blick auf die Anzeigen des Lifts zeigte Pitt, daß es mindestens fünf Etagen in der Anlage geben mußte. Keine kleine Installation, dachte er. Als der Aufzug anhielt, schob die Wache Pitt in einen tapezierten Raum mit gewölbter Decke. An den beiden Seitenwänden standen lange, gefüllte Bücherregale. Die meisten Bücher waren in Englisch, viele der bekannten amerikanischen Bestseller waren darunter. Am gegenüberliegenden Ende des Raumes wurde die Wand von einer riesigen Karte Nordamerikas verdeckt. Das ganze Zimmer wirkte auf Pitt wie ein privates Arbeitszimmer. Auf einem riesigen antiken Tisch mit Marmorplatte lagen die neuesten amerikanischen Tageszeitungen, Fachzeitschriften und Wissenschaftsmagazine. Die Wache ließ Pitt allein in dem leeren Raum zurück. Die Aufzugtüren schlössen sich, andere Türen waren nicht zu sehen.
Jetzt wollen sie sich ihr Versuchskaninchen also erst mal in Ruhe ansehen, dachte sich Pitt. Er ersparte sich, mit den Augen nach der Linse einer Videokamera zu suchen. Statt dessen entschloß er sich, eine Reaktion des verborgenen Beobachters zu provozieren. Er schwankte wie ein Betrunkener, verdrehte die Augen und brach dann auf dem Teppich zusammen.
Es verging keine halbe Minute, und eine in der Wandkarte verborgene Tür öffnete sich. Ein kleiner, schlanker Mann in einer elegant geschnittenen russischen Armeeuniform betrat das Zimmer. Er kniete neben Pitt und starrte in seine halboffenen Augen.
»Können Sie mich hören?« fragte er auf englisch.
»Ja«, murmelte Pitt.
Der Russe ging zu einem Tischchen und füllte ein Glas aus einer Kristallkaraffe. Er setzte es Pitt an die Lippen.
»Trinken Sie das«, befahl er.
»Was ist das?«
»Courvoisier-Cognac, ein wenig brennend auf der Zunge«, antwortete der russische Offizier mit einer fehlerlosen amerikanischen Aussprache. »Gut für Herz und Nieren.«
»Ich bevorzuge den weicheren, vollmundigeren Remy Martin«, erwiderte Pitt und nahm das Glas selbst in die Hand. »Prost.«
Nachdem er das Glas geleert hatte, sprang Pitt auf die Beine, suchte sich einen Sessel und ließ sich gemütlich hineinsinken.
Der Offizier beobachtete ihn amüsiert. »Sie scheinen sich schnell erholt zu haben.« Er nahm Pitt gegenüber Platz. »Ich bin Peter Velikow.«
»General Velikow, wenn ich mich noch an die russischen Militärinsignien erinnern kann.«
»Völlig korrekt«, bestätigte Velikow. »Möchten Sie noch einen Cognac?«
Pitt schüttelte den Kopf und studierte sein Gegenüber aufmerksam. Velikow mochte Ende Vierzig sein. Er wirkte auf eine beruhigende Art freundlich, aber Pitt spürte deutlich die
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