Cypherpunks
und Nordkoreaner Anonymität brauchen, wir hier aber nicht. Mit »hier« meinen sie gewöhnlich die Vereinigten Staaten. Aber in Wirklichkeit sind es nicht bloß unterdrückerische Regimes, denn wenn du zufällig zu den höchsten Rängen irgendeines Regimes gehörst, ist es für dich nicht repressiv. Aber wir halten Großbritannien für ein wunderbares Land; im Allgemeinen halten die Leute auch Schweden für ein tolles Land, und dennoch: Wenn du bei den Mächtigen in Ungnade fällst, kannst zu erleben, dass du in keiner günstigen Position landest. Aber Julian ist noch am Leben, oder? Das kann doch nur bedeuten, dass es ein freies Land ist – oder etwa nicht?
JULIAN: Ich habe hart gearbeitet, um mich in meiner jetzigen Position zu halten. Aber vielleicht sollten wir über die Internetzensur im Westen sprechen. Das ist sehr interessant. Wenn wir an die große Sowjetenzyklopädie in den 50er Jahren zurückdenken, die wurde manchmal berichtigt, wenn sich die Politik in der Sowjetunion änderte. Nachdem 1953 Beria, der Chef der sowjetischen Geheimpolizei NKWD, in Ungnade gefallen und hingerichtet worden war, wurde die ihn behandelnde Passage, die ihn in den höchsten Tönen lobte, vom Herausgeber gestrichen und eine Korrektur verschickt, die in alle Exemplare der Enzyklopädie eingeklebt werden sollte. Das war alles andere als subtil. Ich erwähne dieses Beispiel nur, weil es so klar auf der Hand lag und so leicht nachweisbar war, dass es in die Geschichte einging. In Großbritannien haben wir dagegen den Guardian und andere große Zeitungen, die Storys aus ihren Internetarchiven reißen, ohne irgendwelche Gründe anzuführen. Du rufst diese Seiten auf und versuchst sie zu finden, zum Beispiel Geschichten über den Betrugsfall des Milliardärs Nadhmi Auchi, und bekommst die Meldung, dass sie unauffindbar sind, »Page not found«, und sie sind auch aus den Indizes gestrichen.
Lasst mich euch kurz erklären, was ich mit der Geschichte von Nadhmi Auchi zu tun habe. 1990 marschierte der Irak in Kuwait ein, was zum Ersten Golfkrieg führte. Die kuwaitische Regierung brauchte Geld im Exil und auch noch nach ihrer Rückkehr, daher machte sie sich daran, verschiedene Vermögenswerte zu veräußern, darunter mehrere Ölraffinerien außerhalb Kuwaits. Ein britischer Geschäftsmann, Nadhmi Auchi, der Anfang der achtziger Jahre aus dem Irak nach Großbritannien immigriert war, fungierte als Makler bei diesem Deal und wurde in der Folge beschuldigt, 118 Millionen Dollar illegaler Provisionen weitergereicht zu haben. Die diesbezüglichen Ermittlungen stellten die größte Korruptionsuntersuchung der europäischen Nachkriegsgeschichte dar. 2003 wurde Auchi imspäter so genannten Elf-Aquitaine-Skandal wegen Betrugs verurteilt. Trotzdem besitzt er heute über 200 Unternehmen, die über seine Luxemburger Holding und andere in Panama registriert sind. Er ist an irakischen Mobiltelefonlizenzen und vielen anderen Geschäften auf der ganzen Welt beteiligt. 108
Der Amerikaner Tony Rezko, ein Spendenbeschaffer bei Barack Obamas Senatswahlkampf, war ein langjähriger Kumpel von Auchi und hatte von diesem Geldmittel erhalten. Auchi und Rezko kamen auch mit dem ehemaligen Gouverneur von Illinois, Rod Blagojevich, zusammen. Sowohl Rezko wie Blagojevich wurden wegen Korruption verurteilt, Rezko 2008 und Blagojevich 2010/11 (nachdem das FBI ein Telefongespräch von ihm abgehört hatte, in dem er Obamas ehemaligen Senatssitz zum Kauf anbot). 2007/8, als sich Obama darum bewarb, Präsidentschaftskandidat der Demokraten zu werden, begann die amerikanische Presse, Obamas Verbindungen zu durchleuchten. Sie überprüfte Rezko und berichtete über einige Verbindungen in Bezug auf den Kauf von Barack Obamas Haus. 2008, kurz vor seinem Prozess, erhielt Rezko von Auchi eine Überweisung von 3,5 Millionen Dollar, die er nicht dem Gericht mitteilte, obwohl er dazu verpflichtet war – wofür er ins Gefängnis kam. Also wandten sich die Nachforschungen der amerikanischen Presse Auchi zu, und in diesem Moment beauftragte dieser die britische Anwaltskanzlei Carter-Ruck mit einer aggressiven Kampagne gegen einen Großteil der Berichterstattung über den Elf-Aquitaine-Skandal von 2003 und seine Verurteilung in Frankreich. Das hatte großen Erfolg. Er nahm die britische Presse aufs Korn, ja selbst amerikanische Blogger, und ließ fast ein Dutzend Artikel entfernen, von denen wir wissen. Die meisten davon, darunter solche in britischen Zeitungsarchiven,
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