Cypherpunks
führen kann, die ich nicht gut finde.
JULIAN: Aber Andy, das ist doch wieder so was von deutsch. Um das zu tun, um zu entscheiden, was akzeptabel ist und was nicht, musst du ein Komitee haben, du musst Leute dafür ernennen, du brauchst ein Ernennungsverfahren für diesen Ausschuss …
ANDY: Ja, wir haben diesen ganzen Mist. Die deutschen Morde im Zweiten Weltkrieg – alles, was die Nazis getan haben, jedes Eigentum, das sie beschlagnahmt haben, dafür haben sie eine Quittung ausgestellt, Listen angelegt. Es waren alles bürokratische Akte. Du kannst behaupten, dass die Deutschen durch nichts zu rechtfertigende Morde an unzähligen Menschen begangen haben – das stimmt –, aber sie haben es auf eine bürokratische Art und Weise gemacht. Das ist Deutschland.
JULIAN: Wenn du jemanden hast, der darüber entscheiden soll, was zensiert werden soll und was nicht, dann brauchst du zweierlei. Erstens musst du eine technische Infrastruktur aufbauen, um die Zensur durchzuführen. Du musst eine landesweite Zensurmaschine schaffen, um es wirkungsvoll zu erledigen. Zweitens brauchst du dann zum Zensieren einen Ausschuss und eine Bürokratie. Und dieses Komitee muss seinem Wesen nach geheim sein, weil es andernfalls komplett nutzlos wäre, und daher bekommst du eine geheime Justiz.
ANDY: Weißt du was? Ein gutes Prinzip haben wir in Deutschland.
JACOB: Nur eins?
ANDY: Das Prinzip ist, dass wenn es unrealistisch ist, ein Gesetz anzuwenden, dass es dann nicht existierte sollte. Wenn ein Gesetz keinen Sinn macht, zum Beispiel wenn du Windmühlen oder was immer verbieten willst, dann sagen wir: »Hey, komm schon, vergiss es.« Uns inspiriert das Internet so, wie es war, als wir es kennen gelernt haben, als groß geworden ist, durch den freien Informationsfluss, im Sinn von frei als unbegrenzt, als ungehemmt, als nicht zensiert, als ungefiltert. Wenn du also unser Verständnis des freien Informationsflusses auf den Planeten Erde anwendest – und es ist im Groben auf die ganze Erde angewendet worden –, dann erleben wir natürlich, dass Regierungen und die Art, wie Macht und Zensur, ausgeübt wurden – ob nun Vorzensur oder Nachzensur oder was für eine Zensur auch immer –, davon in Mitleidenschaft gezogen werden. Wir haben alle diese vertrackten Konflikte mitgekriegt, die da entstehen. Die Frage ist, was ist unsere Vorstellung von Regierung oder der Zukunft einer nachstaatlichen Organisation? Vielleicht ist ja WikiLeaks die erste oder eine der ersten dieser »Post-Governmental Organizations«. Ich bin mir nämlich nicht sicher, dass Staaten die richtige Antwort auf alle Probleme auf diesem Planeten sind, wie die Umweltprobleme.
JULIAN: Die Regierungen sind sich der Grenze zwischen dem, was Staat ist und was nicht, auch nicht mehr sicher. Sie verfließt zusehends. Staaten nehmen Platz ein, aber WikiLeaks besetzt einen Teil dieses Platzes im Internet. Der Raum des Internets ist in den realen Raum eingebettet, aber das Ausmaß der Komplexität zwischen den eingebetteten Objekten und der Einbettung bedeutet, dass es nicht leicht für die Einbettung ist, zu sagen, dass das eingebettete Objekt auch nur ein Teil von ihr ist. Das ist also der Grund, warum wir diesen Eindruck des Cyberspace haben – dass es in Wirklichkeit ein anderes Reich ist, dasirgendwo existiert –, aufgrund seines Maßes an Indirektheit, Komplexität und Universalität. Wenn du eine Datei im Internet an einem Ort liest, ist es dasselbe, wie sie an einem anderen Ort oder in der Zukunft zu lesen – das ist ihre Universalität. Bis zu diesem Grad sind wir, als Organisation, die den Cyberspace besetzt und darin geübt ist, ihre Information von Einbettung zu Einbettung zu verschieben, vielleicht aufgrund des Mangels an geografischer Kontrolle eine nachstaatliche Organisation.
Ich möchte diese Analogie nicht zu weit treiben, weil ich unter Hausarrest stehe. Staatliche Gewalt wird offenkundig gegen alle unsere Leute eingesetzt, wo immer und sofern sie bekannt sind. Aber der Rest der Presse nennt uns gerne eine staatenlose Nachrichtenorganisation und hat völlig recht, was die Bedeutung der Staatenlosigkeit betrifft. »Was, glaubt ihr wohl, ist die News Corporation?«, frage ich immer gerne. »Ein großer, multinationaler Konzern.« Trotzdem ist die News Corporation in einer Weise aufgebaut, dass du an ihre entscheidenden Strukturen herankommst, und das ist der Grund, warum sie hier in Großbritannien wegen des Telefon-Hacking-Skandals so in die Bredouille
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