Cyrion
Hochzeitsnacht erinnerte. Sonst hatte er kaum noch etwas mit ihrer Erinnerung gemein. Ein junger Mann, hochgewachsen und schlank, mit der Ausstrahlung von Luchs und Panther, einem Gesicht wie dem Luzifers in seinen charmantesten Augenblicken, langgewimperte Augen von dem Blau neu geschmiedeter Schwerter - und das alles gekrönt von der Flamme orangefarbener Haare. Dieses Geschöpf also hatte sie genarrt, geärgert, in Schrecken versetzt. Er war es, der sie auf den Klippen gerettet hatte - der vor ihren Augen in diesem Raum gestorben war.
»Falls Ihr in Erwägung ziehen solltet, ohnmächtig zu werden«, sagte Cyrion, »muß ich Euch darauf hinweisen, daß ich vielleicht nicht so schnell da bin, Euch aufzufangen, wie Mevary.«
Kalt erwiderte sie: »Ich bin no ch nie in meinem Leben ohnmächtig geworden.«
»Das glaube ich natürlich sofort.«
»Ihr denkt an den Tag, als Jobel starb? Ich war müde und traurig, und es war manchmal nützlich, so zu tun... In Ohnmacht zu fallen ist eine ausgezeichnete Methode, ermüdenden Fragen auszuweichen. Nicht daß meine schauspielerische Leistung auch nur im mindesten an Eure heranreicht. Ihr fallt nicht in Ohnmacht, Ihr sterbt.«
»Womit man gleichfalls Fragen aus dem Weg gehen kann.«
»Vielleicht seid Ihr ein Magier.«
»Oder vielleicht bin ich kein Magier.«
»Hat Roilant Euch zu mir geschickt?«
»Nein.«
»Wie seid Ihr dann hier hergekommen, ohne aufgehalten zu werden? Überall stehen Wachen.«
»Jemand anders hat dafür gesorgt, daß sie tief und fest schlafen.«
Sie stutzte und bemerkte dann mit unüberhörbarer Abneigung: »Und wie seid Ihr aus dem Grab entkommen, in das wir Euch gelegt hatten?«
»Dessen Deckplatte, wie ich gesehen habe, immer noch danebenliegt.« Cyrion trat ins Zimmer. Er nahm etwas aus seinem Hemd und ließ Wachs von einer der Kerzen darauf tropfen. »Die Antwort darauf, wie auf eine ganze Reihe anderer drängender Fragen, muß ich Euch schuldig bleiben. Die Zeit, wie man so zu sagen pflegt, ist kurz. Aber vielleicht würdet Ihr so gut sein, das hier Eurem Cousin Roilant zu übergeben.«
Sie starrte ihn an und dann den Brief, den er sorgfältig, wenn auch ziemlich sinnlos, mit heißem Kerzenwachs versiegelt hatte und ihr jetzt entgegenhielt.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Die Sicherung Eures guten Namens«, erklärte er. »Wenn Roilant aufwacht, gebt es ihm. Er wird schlechter Laune sein, da man ihm ein Schlafmittel eingeflößt hat. Sprecht also leise. Das ist für morgen. Heute nacht behaltet es hier.«
»Wieder ein Scherz.«
»Nicht ganz. Es besteht die Möglichkeit, daß ich aufgehalten werde oder eine falsche Spur verfolge. Es wäre eine Schande, wenn Eure Unschuld länger als nötig bezweifelt würde, oder nicht?«
»Unschuld? Ihr haltet mich für eine Verbrecherin. Alles, was Ihr zu mir gesagt habt -«
»Vergebt mir. Ich habe nicht viel Zeit.«
Er gab seinen Platz neben dem Kerzenhalter auf, ging wieder an ihr vorbei, neigte seinen schimmernden Kopf und küßte sie leicht auf den Mund, bevor er die Tür öffnete und in der Dunkelheit verschwand.
Erst als er fort war, bemerkte sie, daß der Brief in ihrer Hand lag und daß sie ihn entgegengenommen hatte, zugleich mit den geheimnisvollen Worten und dem gehauchten Kuß, der immer noch auf ihrer Haut brannte.
Einer ersten Regung folgend, eilte sie zur Tür, um dann unschlüssig stehenzubleiben. Sie blickte auf den versiegelten Brief in ihrer Hand. Das Siegel zu erbrechen und nachher wieder anzubringen würde nur zu einfach sein, denn das passende Wachs stand ihr ja zur Verfügung. Und sollte sie annehmen, daß er genau das nicht beachtet hatte? Verwirrt legte sie den Riegel wieder vor und ging zu ihrem Bett zurück. Und fuhr mit dem Daumennagel unter das provisorische Siegel.
Nachdem er geraume Zeit in der unterirdischen Höhle verbracht und gesehen hatte, was es zu sehen gab, kehrte Cyrion an die Oberfläche zurück. Der Käfig, der nur von der darin befindlichen Person bedient werden konnte, hing wieder seitlich unter dem Brunnenschacht, wo die Verbündete der Hexen ihn zurückgelassen hatte, während sie in dem Schacht nach oben kletterte. Gezwungenermaßen benutzte Cyrion das schlaff herabhängende Seil, das den einen Teil der Zugvorrichtung ausmachte und holte den Käfig zu sich, indem er sich als Gegengewicht an den Flaschenzug hängte.
Das und das Überwechseln zu den Seilen in dem Brunnenschacht, bewältigte er mit mindestens ebensoviel Geschick wie jeder andere, der
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