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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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hörbares Geräusch.
    Nachdem er bereits herausgefunden hatte, wie die einfache, aber zweckmäßige Vorrichtung zu bedienen war, schien es, daß Cyrion nun auch noch in den Genuß einer praktischen Vorführung kommen sollte. Mit einem freundlichen Gedanken an ein zuvorkommendes Schicksal, trat er in eine der flachen Nischen in der Felswand und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
    Zuerst tauchten ein paar lange Beine in dem Schacht auf, gefolgt von dem restlichen Körper. Zwei schmale Hände umfaßten die straff gespannten Seile und hangelten sich mit bewunderungswürdigem Geschick daran hinab. Am Ende der Seile angekommen, schwangen die Füße vor, in den oberen Teil des Käfigs hinein und zogen ihn unter die Schachtöffnung. Als der Käfig sich genau unter dem Loch in der Höhlendecke befand, ließ die Gestalt sich hineingleiten und suchte Halt an dem Gestänge, während der Gitterkasten hin und her schaukelte. Ein gewagtes Unterfangen, das aber mit der Gewandtheit eines Kletteräffchens durchgeführt wurde. Oder mit der Gewandtheit eines Menschen, der es gewöhnt war zu klettern und zu balancieren und den inneren Gesetzen einer sorglosen, aber genau berechneten Furchtlosigkeit gehorchte.
    Das Schaukeln des Käfigs beruhigte sich, und der Insasse wartete, bis es ganz aufgehört hatte, bevor er nach den Tauen griff, um sich in die Höhle hinabzulassen. Man hätte glauben können, es handelte sich um einen Knaben, Harmul oder Zimir, denn die Gestalt trug dementsprechende Kleidung. Aber schon bald sah man auf dem Kopf den kunstvoll hochgesteckten zartgelben Schimmer - eine Maßnahme, die ebenso wie die Männerkleidung der Bewegungsfreiheit bei dieser ungewöhnlichen Reise diente.
    Der Käfig landete knirschend auf dem Felsband. Das Mädchen trat heraus, und einen Augenblick lang war sie im Profil zu sehen. Damit war der letzte Zweifel an ihrem Geschlecht beseitigt.
    Cyrion beobachtete, wie das Mädchen den glitschigen, abschüssigen Felsbalkon entlangeilte. Nach einer Weile erreichte sie anscheinend einen in die Tiefe führenden Pfad, der von Cyrions Standpunkt aus nicht zu sehen war, und verschwand.
    Cyrion nahm die Verfolgung auf.
    Den unsichtbaren Pfad hatte er bald gefunden. Er wand sich an der Felswand hinunter und war stellenweise von herabgefallenem Gestein blockiert. Das behinderte aber weder Cyrion noch das Mädchen. Er ging erst langsamer, als der golden schimmernde Kopf wieder vor ihm auftauchte.
    Um auf den Gedanken zu kommen, daß sie zu den Höhlen mit den davor brennenden Feuern wollte, bedurfte es nicht Cyrions überragender Intelligenz. Es gab keine andere Möglichkeit - außer, sie verspürte den unwahrscheinlichen Wunsch, in dem trüben Wasser ein eisiges Bad zu nehmen.
    An den ersten sechs Höhlen ging sie vorbei. Sie waren dunkel.
    Aus dem Eingang der siebten strömte das unheilige Hexenlicht. Das Knistern der Flammen in der ohrenbetäubenden Stille hatte nichts Anheimelndes.
    (Der Uferrand war ungefähr vierzig Meter weit entfernt.
    Überhänge und Felsvorsprünge verbargen das Ausmaß der Einbuchtungen. Irgendwo, jetzt noch unsichtbar, mußte das geheimnisvolle Schiff liegen.)
    Das Mädchen war vor der Höhle stehengeblieben. In der unheildrohenden, bleichen Helligkeit war die stolze Haltung ihres Kopfes und des Körpers gut zu erkennen. Dann trat sie durch die Öffnung und war für Cyrion nicht mehr zu sehen. Aber gleich darauf hörte er sie sprechen, mit der wohlklingenden Stimme, die man, auch ohne die Sprecherin zu sehen, sogleich als die Eliset von Flors erkannte.
    »Sei gegrüßt, Oe-Tabbit.«
    Eine alte Stimme, so brüchig wie trockene Brotkrusten, antwortete: »Sei gegrüßt. Warum bist du gekommen?«
    »Um dich an meiner Freude teilhaben zu lassen, dich und unsere Schwesternschaft.«
    »Einer ist also tot.«
    »Ja, Oe-Tabbit, einer ist tot.«
    »Aber du gedenkst des Versprechens, das du der grünen Mutter gegeben hast, der Herrin des Meeres?«
    »Natürlich, Oe-Tabbit. Er wird nur deshalb mir gehören, weil er Ihr Eigentum ist. Mein Geschenk an Sie.«
    Ein langes Schweigen. Dann ertönte wieder die Stimme der Hexe, der Frau, die Elisets Kindermädchen gewesen war und auch das der verschwundenen Valia. Schon damals war sie alt gewesen und ein Mitglied dieser zauberkundigen Schwesternschaft, die es vielleicht schon ebenso lange gab wie die Klippen und der Flor seine Geschichten über Meerjungfrauen und Zauberinnen  verdankte, die aus dem Wasser stiegen um zu stehlen und zu

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