Cyrion
heiseres Lachen ertönte.
»Zum ersten, weil wir zu zweit sind und Ihr nur einer. Zum zweiten, weil Euch eine Belohnung erwartet. Zum dritten, weil mein Herr Jolan Euch bittet, und ich hier bin, um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen.«
Daraufhin wurde zwischen Kapuze und Schulter ein Profil sichtbar. Ein feingemeißeltes Profil von beeindruckender Schönheit und ein Auge voll langbewimperter Unschuld.
»Angenommen«, sagte das Profil, »rein theoretisch natürlich, ich würde mich weigern.«
Die heisere Stimme grunzte, in die Dunkelheit kam Bewegung und hörte unvermittelt auf. Die raue Stimme rief drängend: »Nein, Radri! Keine Gewalt -« Aber an dem seidenen Fremden war schon nichts mehr so wie noch eine Sekunde zuvor. Der schwarze Umhang flog zurück, die schlanke Gestalt darin schien herumzuwirbeln. Ein dämonischer Engel stand den beiden Männern plötzlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, das nackte Schwert in seiner rechten Hand funkelte an der Kehle des einen, die ringgepanzerte Linke hielt einen tödlichen kleinen Dolch an die Rippen des anderen. Beide Männer zuckten zusammen und erstarrten dann in atemloser Überraschung. Der Engel sagte entschuldigend: »Und nun, meine Herren, seid ihr vielleicht bereit, eure Bitte etwas ausführlicher zu begründen.«
Es war Mitternacht in Teboras. Mitternacht über der stillen und alten Stadt, parfümiert von dem Duft ihrer Oleanderbäume, gespenstisch mit ihren prachtvollen Ruinen, erfüllt von dem leisen Rauschen ihres tiefen blauen Sees. In diesem Viertel, hoch in den vornehmen Straßen über dem alten remusischen Forum, erwartete man fallende Blüten, gelegentlich eine reiche Kurtisane mit Sänfte und Gefolge, vielleicht sogar einen umherirrenden Geist aus einem der geheimnisvollen Tempel. Aber gewöhnlich keine Straßenräuber. Auch sahen diese beiden nicht nach Taschendieben aus. Der Größere war reich gekleidet, seine breiten Schultern spannten Ärmel aus Brokat mit Goldstickerei -, es war der mit der heiseren Stimme, der dem Fremden hatte Beine machen wollen. Der kleinere und schmaler gebaute Mann, jung und hübsch, wie seine Stimme es nicht war, und blondhaarig, trug die Kleidung eines Prinzen, und an dem breiten Goldreif um seinen Hals schimmerte das kunstvoll gemalte Bildnis einer Dame in einer Fassung aus großen Saphiren und noch größeren Rubinen.
Dieser Blondschopf, vermutlich der Fürst Jolan, räusperte sich, aber das Kratzen in seiner Stimme blieb. »Vergebt uns, Herr. Ich fürchte, wir waren etwas voreilig. Es ist eine Bitte, kein Befehl, daß Ihr uns begleitet. Aber Radri sprach die Wahrheit, als er Euch eine Belohnung versprach.« Die unschuldigen, leuchtenden Augen des Fremden blinzelten nicht einmal. »Natürlich erhaltet Ihr die Belohnung nur, wenn Ihr mit uns kommt.«
»Wohin?«
»Nun«, Jolan streckte vorsichtig die Hand aus. »In dieses Haus dort.«
Eine hohe Steinmauer mit zwei festen Toren und gesäumt von überhängenden Zweigen ließ ein großes Anwesen vermuten. Es sah nicht anders aus als die meisten übrigen Häuser entlang der Straße, die dem Betrachter eine kahle, fensterlose Fassade zuwandten. Das eigentliche Ziel des Fremden lag ein paar Schritte weiter entfernt, wo ein remusischer Tempel stand, ein Bruch in der Gegenwart, mit seinen altertümlichen Säulen und seinen Gespenstern. Es war allgemein bekannt, daß es in der Nähe spukte. Auch wurde hinter der vorgehaltenen Hand erzählt, daß man über viele Jahre hinweg auf dem benachbarten, freien Grundstück immer wieder frische menschliche Gebeine gefunden hätte. Der Fremde gehörte zu den Leuten, die sich von solchen Vorkommnissen hin und wieder angezogen fühlen. Aber auf solche Art von seinen Plänen abgehalten zu werden, faszinierte ihn wenn möglich noch mehr.
»In dem Haus«, überlegte er jetzt, während Schwert und Dolch ihre ungehörige Stellung an Halsschlagader und Lunge unverändert beibehielten, »was wird man dort von mir verlangen?«
Jolan seufzte.
»Herr, man wird von Euch verlangen, ein gerechtes Urteil zu fällen.«
»Über wen?«
»Über vier Personen, zu denen ich und mein Verwalter hier gehören.«
»Ich gebe zu, Ihr habt mein Interesse geweckt. Auf was soll sich dieses Urteil beziehen?«
»Eine - Familienangelegenheit. Ich möchte nicht auf der Straße darüber sprechen. Wenn Ihr eintreten wollt -? Solltet Ihr in der Angelegenheit zu einer befriedigenden Entscheidung kommen, erweist Ihr uns einen größeren Dienst, als Ihr Euch
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