Cyrion
Obwohl er sich in nichts von seiner Umgebung unterschied, einfach nur Sand unter einem Sonnenuntergang.
Die Männer bildeten einen großen Kreis, in dessen Mitte Cyrion geführt wurde. Den größten Teil des Wegs ging er aufrecht. Manchmal stürzte er, dann halfen ihm Fäuste und Stiefel seiner Bewacher wieder auf die Beine. Sie hatten auch den Pfahl mitgebracht, rammten ihn in den Sand und banden Cyrion wieder daran fest. Karuil saß auf seinem Pferd und schaute zu.
Wind kam auf. Die Sonne war fast verschwunden und bald würde es dunkel sein. Und dann für immer Nacht. Aber noch nicht jetzt gleich.
Ysemid gab einen Befehl, und es wurden Fackeln angezündet und am Rand des Kreises in den Boden gesteckt. Schließlich wollten sie sehen, was als nächstes geschah, und das Licht war ausgezeichnet.
Ysemid kam heran. Er betrachtete Cyrions gesenkten Kopf und den wie gemeißelt wirkenden Oberkörper, dessen goldene Haut trotz aller Willenskraft jetzt doch einen Anflug von Sonnenbrand zeigte.
»Nun«, sagte Ysemid. Seine Stimme war leise, nur für Cyrion bestimmt. »Ich nehme an, daß du mich hörst, mein Schmusekätzchen.«
»Ich«, erwiderte Cyrion, »höre dich.«
»Gut, mein Kätzchen. Gut.«
»Hast du nie die Geschichte gehört«, sagte Cyrion - seine eigene Stimme war brüchig, aber verständlich, fesselnd; Ysemid lauschte aufmerksam - »die Geschichte von dem Luchs, der sich in der Gesellschaft von Löwen wiederfand.«
»Wirst du sie mir erzählen, kleiner Luchs?«
»Sie ist nur kurz. Es scheint, daß der Luchs den Löwen erklärte, er sei ein seltenes und schmackhaftes Tier und nur der Beste von ihnen hätte es verdient, ihn zu verspeisen. Woraufhin die Löwen darüber in Streit gerieten, wer von ihnen denn der Beste sei, erst mit Worten und dann mit Zähnen und Klauen. Da sie alle mutig und stark waren, blieb keiner von ihnen am Leben. Die Moral der Geschichte ist, daß der Luchs nicht verspeist wurde.«
»Aber die Moral deiner Geschichte ist, daß wir uns nicht deinetwegen streiten, sondern dich ganz einfach töten werden.«
Ysemid drängte sich noch näher heran. Der Saphir in seinem Ohrläppchen funkelte.
»Siehst du, du legendärer Schwertkämpfer?« sagte Ysemid. »Mach die Augen auf, und sieh mich an. Ich kann mich erinnern, daß mein Vater von dir erzählte, nicht oft, aber eindrucksvoll. Schau her und sieh, wie gut wir zusammenpassen, jetzt.« Ungeduldig faßte Ysemid Cyrion am Kinn und hob seinen Kopf hoch. Irgend etwas stimmte nicht, Ysemid merkte es sofort. Das Gesicht drückte nicht so viel Verzweiflung aus, wie er erwartet hatte, und die Augen - was war mit den Augen? »Sieh mich an«, wiederholte Ysemid.
»Ich bedaure«, sagte Cyrion. »Ich kann nicht.«
Ysemid starrte ihn an. Dann fluchte er, voll ungläubiger Freude.
»Dann ist es also wahr. Diese Krankheit der Augen. Du hast sie jetzt.«
»Ich habe sie jetzt.«
»Und wie lange wird der Anfall dauern?«
»Eine Stunde, vielleicht ein wenig länger.«
»Dann stirbst du vielleicht blind.«
»Ich kann mir nicht denken, daß das etwas ausmacht. Und solltest du jemals Nachforschungen über diese Krankheit anstellen, wirst du herausfinden, daß man sich bei diesen Kopfschmerzen oft den Tod wünscht. Du wirst mir einen Gefallen tun.«
»Es gäbe da noch einen Gefallen«, meinte Ysemid. Hätte Cyrion ihn sehen können, wäre ihm die strahlende Freude aufgefallen, die den Prinzen beinahe greifbar umgab. Das grausame und eigentlich vorhersehbare Spiel, das da in seinem Kopf Gestalt annahm, war unwiderstehlich. »Man hat mir von deinen Fähigkeiten als Schwertkämpfer erzählt. Immer und immer wieder. Und der Kundschafter hat mir zugetragen, was du sagtest, als du ins Lager geführt wurdest. Wie sagtest du noch? Es könnte sich als schwierig herausstellen, gegen einen Mann zu kämpfen, den ich nicht sehen kann.«
Tonlos sagte Cyrion: »Bei der Ehre deines eigenen Volkes, was immer du mit mir tun willst, erspare mir das.«
»Mein Volk, Katze-Luchs-Schakal. Meines. Nicht deines. Und mein Vater, nicht dein Vater. Und mein Wille, nicht deiner.« Ysemid straffte sich. »Ich werde ihnen sagen, du hättest geprahlt, ungefesselt und bewaffnet könntest du mich töten. Ich werde ihnen sagen, daß ich diese Herausforderung annehmen muß. Meine Ehre steht auf dem Spiel, und ich muß dich demütigen, bevor du auf die althergebrachte Art getötet wirst. Sie werden mir zustimmen und dann sehen, wie ich dich in die Schranken weise, während du wie ein
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