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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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hat, noch angemessener als das, was ihr mit ihm tun würdet. Überlaßt ihn den Dämonen.«
    Die Antwort wurde nicht in Worte gefaßt. Aber nach und nach wandten sie sich ab, selbst die, die ihn geliebt hatten; einer nach dem anderen gingen sie davon und nahmen die Fackeln mit sich. Den Leichnam des Königs ließen sie zurück. Sie hatten keine andere Wahl. Er war eins geworden mit dem Staub.
    Cyrion hörte die Dämonen wispern, über das Juwel, die Hand und das Fest dieser Nacht. Auch er hatte sich abgewandt. Er hob das Gewand Karuil-Ysems vom Boden auf und klopfte mit ruhigen, gelassenen Bewegungen das geruchlose Pulver ab, das einmal ein Mensch gewesen war.
    Schließlich legte Cyrion den Umhang an und zog ihn unter dem roten Gürtel zusammen, in dem sein Schwert jetzt wieder steckte. Derweil schien er nicht auf das schluchzende Stöhnen und Flehen zu hören, auf das schrille, ansteigende Winseln unermeßlichen Grauens, noch auf das gellende Kreischen des Verdammten.
    Unter den kalten, mitleidlosen Sternen wanderte Cyrion davon.
    Er war eine Meile entfernt, als das Kreischen verstummte. Was auf keinen Fall bedeutete, daß der Tod schon eingetreten war.
    Später ging der junge Mond auf, und sein Licht schien immer und immer wieder die Worte von Karuil-Ysems letzter Botschaft in den Sand zu schreiben. Cyrions klare Augen, die nie von irgendeiner Krankheit getrübt gewesen waren, folgten diesen Trugbildern des Mondes, suchten sie, lasen sie ein über das andere Mal. Das hatte Karuil geschrieben:
    Dies kommt zu dir durch die Hand eines anderen Volkes als des meinen oder des deinen, doch der Mann ist mein Bote. Gedenkst du noch meiner, dann lies. Ein Leiden hat mich befallen, das kein Leiden des Alters ist. Ich bin das Opfer eines höllischen Spuks, der mir bei jedem Anfall für eine Stunde das Augenlicht nimmt und dann einen langandauernden und peinigenden Schmerz bewirkt, der sich über eine Kopfseite erstreckt. Meine Fähigkeiten bleiben unbeeinflußt, und ich lasse mir nichts von dieser Krankheit anmerken, aber ich glaube, daß jemand mich quält, durch eine Puppe oder ähnliches Hexenwerk. Und ich glaube, daß jener mir ein Siechtum bereiten will, das ich nicht kenne und für das keine Ursache und auch keine Heilung gibt, es sei denn, du findest sie und bringst sie mir. Denn fürwahr, ich ahne, wer mein Feind ist. Seine plötzliche Sorge um meine Gesundheit und, wenn es stimmt, daß er auf mich einwirkt, auch die Ziellosigkeit seine Versuche haben mich zum Nachdenken gebracht; denn es scheint, daß er meine Beschwerden erwartet, ohne zu wissen, wie sie sich äußern werden.
    Ich habe einen Plan, um mir Gewißheit zu verschaffen und ihn zu überführen.
    Wenn du dich meiner erinnerst, wirst du dich auch an das Saphiramulett erinnern, das ich immer unter dem Umhang um den Hals trug und das solche Macht über Dämonen und ähnliche Erscheinungen hatte. Du wußtest von diesem Talisman, du und noch jemand, eine Lieblingsfrau, die bereits tot ist, aber ihr Wissen weitergegeben haben muß. Ich habe vor, diesen Talisman zu verlieren, und zwar so, daß er ihn finden muß; denn nur er weiß, wie er damit die Dämonen auf mich hetzen kann. Nur er. Ich bezweifle, ob er ihn in der Öffentlichkeit herzeigen wird, solange ich lebe, aber sollte er einen Weg finden, mich zu töten oder zu binden, wird er sich damit brüsten, als geheimer Scherz. So wirst du Bescheid wissen.
    Dies eine aber sage ich dir: Wenn er es ist, der mich so haßt, dann werde ich voller Bitterkeit mein Leben in seine Hände legen und auf Gottes Gnade vertrauen. Aber sollte es denn so sein, und du bist immer noch im Herzen, wenn auch nicht im Blute, mein Sohn - RÄCHE MICH!
     
     
     
Siebentes Zwischenspiel
     
    »Eine gespenstische Erzählung«, sagte Roilant schließlich.
    »Aber sie entbehrt nicht der Gerechtigkeit.«
    »Ihr werdet natürlich schwören, daß sie wahr ist.«
    »Ich weiß nicht, ob sie wahr ist.«
    »Und was ist mit Cyrions Verbindung zu den Nomaden?«
    »Die Geschichte geht nicht näher darauf ein.«
    »Leider nicht.«
    Verdrießlich stand Roilant auf. Der alte Bettler, Esurs Vater, blieb sitzen und betrachtete die zwei Goldmünzen, die er angeblich nicht sehen konnte. Das Schnarchen des schnauzbärtigen Soldaten war wieder abgeflaut, nachdem es ausgerechnet während des spannendsten Teils der Geschichte einen neuen Höhepunkt erreicht hatte. Etwas in seiner Haltung vermittelte den Eindruck, daß seine Beine viel länger waren, als in

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