Cyrion
richtig kennen gelernt hat, als einen guten Freund.
Sohnespflicht war etwas anderes. Aus Pflichtgefühl seinem Vater gegenüber, verzichtete Roilant in diesem Sommer darauf, seine Cousine Eliset zu besuchen. Als ein mit minderwertigen Steinen besetztes, billiges Amulett bei ihm eintraf, »um ihn in seinem Verlust zu trösten«, antwortete er höflich, aber zurückhaltend.
Erst in dem Winter nach seinem neunzehnten Geburtstag erfuhr er von den Gerüchten über die junge Dame, die seine Braut hatte werden sollen und über das Leben, das man jetzt auf Flor führte.
Der Mann, der ihm die Augen öffnete, stand am Hof des Königs in hohem Ansehen und der Brief, in dem er ihm von den Gerüchten Mitteilung machte, wurde von seinem eigenen Diener überbracht. Der Brief selbst war nicht unterzeichnet. Scheinbar verhielt es sich so, daß Eliset weder lieblich noch keusch war; denn sie war das Liebchen ihres braungelockten Vetters und auch noch anderer. Aber das war gar nichts im Vergleich zu ihren anderen Gewohnheiten. Roilants Informant drückte sich in dieser Hinsicht nicht besonders deutlich aus, sprach hin und wieder von>Aberglauben der Unwissendem, ohne gesagt zu haben, worum es denn eigentlich ging. Was Roilant schließlich zwischen den Zeilen herauslas, besagte, daß es auf Flor spukte und Eliset einer geheimen Schwesternschaft von Hexen angehörte, in die sie von ihrer alten Amme eingeführt worden war. Es wurde erzählt (o oft wiederholte und nichtssagende Redewendung!), daß Eliset schon im Alter von neun Jahren durch Zauberei den Tod ihrer Halbschwester Valia herbeigeführt hätte. Und daß sie auch für den Tod von Valias Mutter und ihres eigenen Vaters und Onkels verantwortlich sei. Sogar ckr Tod von Roilants Vater kam in Frage. Er, ein unübertroffener Reiter, war abgeworfen worden - kurze Zeit nachdem er dem Mädchen die Einheirat in den wohlhabenden Zweig der Familie Beucelair verweigert hatte. Wie nicht anders zu erwarten, endete der Brief mit der Bemerkung, daß jeder reiche Mann, der Eliset heiratete, damit rechnen mußte, schnell und ohne Nachkommen zu sterben und sein Vermögen seiner Frau zu hinterlassen.
Damals hatte Roilant noch nicht so ganz an Zauberei geglaubt. Und dennoch wuchs ein nagender, unerklärlicher Zweifel in ihm, ein Zweifel, den er, wie er sich eingestand, seit dem Tode seines Vaters mit sich herumtrug. Roilant zerbrach sich nicht übermäßig lange den Kopf über die Angelegenheit, aber über drei Dinge war er sich im klaren. Erstens, daß er Eliset noch nicht mitteilen würde, daß er nicht länger die Absicht hatte, sie zu heiraten, zweitens, daß er sie nicht heiraten würde, und drittens, daß er ihr eine Apanage zukommen lassen wollte, um sein Gewissen zu beruhigen.
Gesagt, getan oder vielmehr nicht getan, je nachdem. Eliset schickte einen Brief, worin sie sich herzlich für die Apanage bedankte. Nur ein einziger kleiner Satz störte, in dem sie schrieb, daß sie sich auf ihr nächstes Zusammentreffen freute.
Aber wieder vergingen Jahre. Roilant kam zu der Erkenntnis, daß er Frauen bevorzugte, die nicht übermäßig schön waren und keine übermäßigen Ansprüche stellten, und fand immer größeres Gefallen an weiblicher Gesellschaft. Schließlich entdeckte er eine ideale Partnerin. Sie stammte aus gutem Hause, hatte ein schlichtes Äußeres und nur eine spärliche Mitgift, dafür aber einen gesunden Menschenverstand, ein stilles und doch lebhaftes Wesen und eine bezaubernde Neigung zur Fröhlichkeit, die Roilants Herz wärmte, denn sie richtete sich nie gegen ihn. Zwar verspürte er niemals das Bedürfnis, Gedichte für sie zu schreiben, aber trotzdem ertappte Roilant sich eines Tages dabei, wie er in ihres Vaters verwildertem Garten zu dieser jungen Dame sagte - sie hatten sich gerade über einen hypothetischen Wanderer unterhalten, der sich in der Wüste verirrte -: »Wenn ich mich in der Wüste verirren würde, würde ich alles daransetzen, wieder zurückzufinden. Ich würde Euch vermissen -« Das und das unerwartete, aber erfreuliche Erröten der betreffenden Dame, brachten Roilant zu der Überzeugung, daß es an der Zeit war, gewisse Schritte zu unternehmen. Deshalb machte er die Bekanntschaft von einigen Anwälten und war auf dem besten Wege, die vor neuneinhalb Jahren geschlossene Verlobung zu lösen, als Er verstummte.
Die braune Katze saß kerzengerade auf Cyrions Schulter und starrte Roilant an. Cyrion starrte nicht, aber er wandte auch nicht den Blick ab.
»-
Weitere Kostenlose Bücher