Cyrion
Festung noch den Landstrich beherrschte, hatte es ein Dorf am Fuß ihrer Mauern gegeben. Aber jetzt schienen die kleinen Ansiedlungen sich davongeschlichen zu haben; die Schafe und roten Kühe weideten tiefer am Hang, und am Markttag ritt man in die Stadt, wo einst für einen cassianischen Kaiser ein Palast über dem tiefblauen Wasser der Bucht erbaut worden war.
Für jemanden, der kein Kaiser war, mochte die Reise nach Cassireia unangenehm sein. Dem Seitenpfad zu folgen, sich in den zwei Dörfern anstarren zu lassen, die Lücke zwischen den beiden Bergen zu erreichen und auf Flor erst hinab- und dann hinaufzublicken - vielleicht noch unangenehmer. Möglicherweise aber auch ein Grund zur Freude, wenn dieser Reisende Roilant von Beucelair war, der kam, um seine Braut zu holen. Denn mit der Braut erhielt er Flor, ihre einzige Mitgift. Und es brauchte nur ein wenig Mühe und Geld, um das verwilderte Anwesen wieder in alter Schönheit erstrahlen zu lassen. Falls der Ankömmling solche Gedanken gehegt haben sollte, waren die toten Feigenbäume am Rand der Obsthaine durchaus dazu geeignet, sie im Keim zu ersticken. Als wäre ein Pesthauch darüber hinweggegangen, so gründlich war hier alles Leben ausgelöscht. Als nächstes bot sich das niederschmetternde Bild einer Zypresse, die schon vor langen Jahren von einem Blitzschlag gefällt worden war. Und danach eine wahre Flut gesunder Bäume mit wild wuchernden Trieben, Ästen, die sich bis zur Erde neigten, haltsuchend ineinander verschlungenen Ästen, deren Früchte ganze Insektenschwärme anlockten, welche das stickige grüne Licht mit einem nervzermürbenden Summen und Surren erfüllten. Sich auf dem Rücken eines Maultiers durch diesen geräuschvollen Dschungel einen Weg zu erkämpfen, war weder leicht noch besonders unterhaltsam. Kam man endlich unter den letzten Bäumen hervor und erreichte den Fuß des Abhangs, stand man vor der remusischen Mauer, die ungerechterweise noch beinahe genauso aussah wie vor neun Jahren. Während das Herrenhaus kaum noch diese Bezeichnung verdiente.
Die Tore, an denen die meisten Metallbeschläge fehlten, standen offen und erweckten den Eindruck, als könnten sie niemals wieder geschlossen werden. Und der Vorhof mit der Zisterne, den Säulen und Palmen war wie eine welkende Rose, deren Blütenblätter eins nach dem anderen zu Boden schwebten. Zerbrochene Ziegel, die vom Dach herabgefallen waren, lagen in dem ausgetrockneten Trog, in dessen klarem Wasser sich einst der Himmel gespiegelt hatte. Steinerne Löwen, über und über mit blauem Moos bewachsen, standen verloren an den vier Ecken. Die Löwen, die Mauern, die Säulen, die Bäume, alles war von Verfall gezeichnet.
Unter einer abgestorbenen Palme schlief zusammengerollt ein zerlumpter Junge, und einige aus den Obstgärten abgewanderte Wespen und Fliegen surrten mißbilligend herum. Sonst war kein lebendes Wesen zu entdecken.
Der Ankömmling saß unter dem Torbogen auf seinem Maultier und schaute sich um; die untergehende Sonne leuchtete auf seinem lohfarbenen Haar. Seine Haltung drückte ungläubigen Widerwillen aus. Etwas zu wissen, war eine Sache, es zu sehen, eine andere.
Hinter ihm hockten die beiden Diener aus Heruzala auf ihren Maultieren. Schließlich erkundigte sich einer von ihnen:
»Das ist Flor, Herr?«
»Leider.«
Der andere schnaufte verächtlich.
»Soll ich den Nichtsnutz aufwecken?«
»Es scheint unumgänglich zu sein.«
Der erste Mann, massiger als Roilant, aber muskulös, schwang sich aus dem Sattel und trat zu dem schlafenden
Jungen. Er packte ihn an einer Schulter und zog ihn hoch. Der Junge wachte auf und schlug und trat um sich, schließlich verbiß er sich in den Ärmel seines Angreifers und ließ nicht mehr los. Der zweite Diener sprang aus dem Sattel und eilte seinem Kameraden zur Hilfe. Der Vorfall artete zu einer Prügelei aus, als zwei weitere ungekämmte Burschen von den dürren Bäumen sprangen und sich heulend auf die Fremden stürzten.
Der dickliche junge Mann saß auf seinem Reittier, verbreitete den Eindruck äußerster Hilflosigkeit und hätte vielleicht noch bis in alle Ewigkeit dagesessen, während die Prügelei endlos weiterging. Endlich aber öffnete sich mit hörbarem Widerwillen einer der Flügel des Haupttores hinter den Säulen, und dann trat eine Gestalt aus dem Schatten ins Licht.
Zwei weiße Hände schimmerten, als sie fest gegeneinandergeschlagen wurden.
»Hört auf! Harmul - Dassin - Zimir, sofort!«
Zwei der Jungen
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