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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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als«, fuhr Roilant schließlich fort, »Dinge geschahen, von denen ich nur ungern sprechen würde, wenn Ihr mit dem Okkulten nicht so vertraut wäret.«
    Erstens wurde der Brief, den die Anwälte aufgesetzt und nach Flor gesandt hatten, von einem Boten, den niemand beschreiben konnte, zu Roilants Haus in der Nähe von Heruzala zurückgebracht. Als er den Brief öffnete, merkte Roilant, daß das Schriftstück sich einigermaßen verändert hatte. Es war in viele kleine Schnipsel zerrissen und als diese zu Boden flatterten, gerieten sie in Brand. Nur ein Augenblick, und außer Asche war nichts mehr davon übrig.
    »Ich dachte, ich hätte es mir nur eingebildet«, sagte Roilant. »Was jeder gedacht hätte.«
    »Tatsächlich?«
    »Ich jedenfalls dachte es damals.«
    Als nächstes befreite sich der schäbige Talisman, den er nach dem Tod seines Vaters erhalten hatte, aus einer von Roilants Truhen, flog ihm durch ein offenes Fenster ins Gesicht und verursachte eine schmerzhafte Prellung. Als er das Ding vom Boden aufhob, verbrannte er sich die Hand. Daraufhin flüchtete er aus dem Zimmer und brauchte eine Stunde, um sich einzureden, daß jemand den Talisman gestohlen, über einem Feuer erhitzt und dann durch das Fenster geworfen hatte. Bei seiner Rückkehr fand er den unglückbringenden Glücksbringer zerbrochen vor, ließ die Reste aufkehren und versuchte, den Vorfall aus seinen Gedanken zu verbannen. Was sich als recht einfach herausstellte, da in derselben Nacht etwas viel Schlimmeres geschah. Als er gegen Mitternacht erwachte, glaubte er erst von dem draußen tobenden Unwetter geweckt worden zu sein. Aber dann wurde er sich eines abscheulichen Gefühls bewußt, als krabbelte ein ganzer Schwarm von Insekten über sein Gesicht und streiften ihn mit ihren Flügeln. Er fuhr hoch und rieb sich das Gesicht und war sie schließlich losgeworden - nur um beim Schein einer hastig entzündeten Kerze festzustellen, daß die Insekten nichts anderes waren, als die gepreßten Blumen, die Eliset ihm nach ihrem zweiten Zusammentreffen übersandt hatte und die jetzt vor Alter ganz braun und mürbe wie Mottenflügel waren. Während Roilant noch dastand und sie verstört betrachtete, wirbelten sie durch die Luft und zerfielen zu Staub. Als der Staub sich herabsenkte, wurde eine Gestalt dahinter sichtbar.
    Sie war nur gerade eben sichtbar. Das Flackern der Kerze, das Toben des Sturmes und seine eigene Furcht machten es für Roilant noch schwerer, Einzelheiten zu erkennen. Aber sie war dagewesen, eine halb durchsichtige Erscheinung wie Dunst auf einem Spiegel. Schmal und blaß, das Gesicht ein leerer Fleck, umrahmt von Haaren so gelb wie Narzissen. Dann sprach sie zu ihm. Nicht hörbar, sondern die Worte erschienen langsam und deutlich in der Dunkelheit hinter der Kerzenflamme. Sie lauteten:
    Der Bund ist geschlossen und darf nicht gelöst werden. Du bist mein und mußt zu mir kommen, bevor der Monat herum ist.
    »Am Morgen«, sagte Roilant, »hielt ich es für einen Alptraum.«
    »Natürlich«, pflichtete Cyrion ihm freundlich bei.
    Und zum erstenmal in seinem Leben kam Roilant sich wie ein Narr vor, weil er nicht an das Übernatürliche glaubte.
    Eingeschüchtert fuhr er fort: »Sieben Nächte lang kam die Erscheinung immer wieder. Dann glaubte ich an Magie. Ich hatte - hatte Angst, gebe ich zu. Und das trübe Wetter, der endlose Regen, bedrückte mich in einem nie gekannten Maße. Ich rief einen Mann, der in dem nahe gelegenen Dorf für sein magisches Wissen berühmt war. Er untersuchte mein Schlafzimmer und behauptete, er könne die Zauberei förmlich riechen. Ich roch nur noch den Regen. Aber ich fragte, was ich tun sollte, und er machte sich erbötig, in seinen Büchern nachzulesen. Er ging, und ich sah ihn niemals wieder, auch dann nicht, als ich ihn in seinem Dorf suchte. Mir kam es so vor, als hätte er ebensoviel Angst wie ich selbst. Was dann geschah? Nach sieben Tagen hörten die nächtlichen Heimsuchungen auf, und es trat auch nichts anderes an ihre Stelle. Obwohl ich inzwischen ständig darauf wartete, daß etwas passiert. Aber was sollte ich tun? Reiste ich nach Flor, würde man dieselben magischen Kräfte, die mich gerufen hatten, vermutlich dazu benutzen, mich zu töten. Es schien mir sicherer, zu Hause zu bleiben. Doch dann erreichten mich Nachrichten aus der Stadt.«
    Die Dame in Heruzala, zu der Roilant sich hingezogen fühlte, hatte ruhig auf der Terrasse ihres Vaterhauses gesessen, als ein Teil des Daches über ihr

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