Cyrion
gesagt, und das Meer am Fuß des Felsen sehr tief. Auch Eliset hatte man gewarnt, und zu der fraglichen Zeit befand sie sich auch nicht in der Nähe der Klippen, sondern spielte mit ihrer Amme unten der Buche im Garten.
Valia wurde betrauert, wenigstens von ihrer Mutter, die kurz darauf vor Kummer starb, und von Gerris, der selbst Elisets vierzehnten Geburtstag nicht mehr erlebte. Inzwischen war ihm außer dem Gut Flor nichts mehr geblieben, sein Vermögen war zerronnen und königliche Gunst eine Sage aus fernen Zeiten.
Das unaufhaltsam verfallende Gut in der Nähe von Cassireia war dann an Roilants zweiten Onkel, Gerris’ Bruder Mervary, übergegangen. Obwohl so gering an Wert, war es doch mehr, als Mervary selbst geblieben war. Er wurde Elisets Vormund und sein Sohn, der ebenfalls Mervary hieß, ihr Bruder. Sie waren gleich alt und verstanden sich gut. Beide gingen sie geistigen Anstrengungen aus dem Weg und unternahmen wilde Ritte über die Hügel - solange es auf Flor noch Pferde gab. Es war schade, daß diese beiden, die sich so gut ergänzten - er braunhaarig, sie blond; er stark, sie zerbrechlich - nicht heiraten konnten. Aber das hätte keinen Sinn ergeben. Sein Mangel an Geld machte ihn nicht gerade zu einer guten Partie. Ihre eigene Armut verwehrte es ihr, innerhalb ihrer eigenen Kreise zu heiraten, und etwas anderes kam nicht in Frage. Es sei denn - es gab noch einen anderen Ausweg.
Schon Gerris hatte, bevor er starb, Roilants Vater diesen Vorschlag gemacht. Der einzige noch vermögende Beucelair sollte sich seinen armen Verwandten gegenüber großzügig verhalten und hatte doch bestimmt Mitleid mit der unschuldigen, jungfräulichen Tochter, wenn schon nicht mit Gerris und Mervary, den irregegangenen Brüdern.
Roilant war als Kind zweimal in Flor gewesen. Jeweils nur für kurze Zeit, und Valia war damals schon tot. Eliset, die ein Jahr jünger war als er, hielt er für ein langweiliges kleines Mädchen, in deren Gegenwart er sich aus einem Grund, den er nicht recht fassen konnte, nie ganz wohl fühlte.
Das Haus aber und der verwilderte Garten hatten ihn fasziniert. Sie hatten einen eigenen Zauber für einen plumpen kleinen Jungen, der in jedem der üblichen Knabenspiele versagte und lieber in einer Ecke hockte und las. Selbst als Kind wußte Roilant schon, daß er für jedermann eine Enttäuschung war, sogar für sich selbst. Niemals würde er ein Kriegsheld sein oder ein Staatsmann, nicht einmal für geschäftliche Angelegenheiten hatte er einen besonders guten Kopf. Und im Gegensatz zu Cousin und Cousine, war er dicklich und hatte lächerliches ingwerfarbenes Haar - oder zumindest wurde immer darüber gelacht.
Als Gerris tot war, hatte Mervary die Sache mit der Heirat noch einmal zur Sprache gebracht. Roilants Vater hatte seinen unnützen Sohn mit den Worten abgefertigt: »Geh und sieh dir das Mädchen an. Wenn sie dir gefällt, kannst du sie haben. Wir brauchen keine Mitgift.«
Also stattete Roilant Flor einen dritten Besuch ab, und diesmal roch er das schale Wasser in den Zisternen, sah den Tod an den Wurzeln der Palmen nagen und wie die Obstgärten verwilderten. Er war nicht mehr der Knabe, der sich vorstellte, ein remusischer Tribun zu sein, als er auf der verfallenen Mauer stand und sich eingestehen mußte, daß der Festungsturm auf den Klippen auch nicht viel besser aussah.
Beim Abendessen dann traf er Onkel Mervary und Mervarys Sohn Mervary und haßte sie sofort, alle beide. Mervary I war abstoßend und verschlagen. Mervary II war hübsch, heldenhaft und unerträglich. Er war fünfzehn und verwandte große Sorgfalt darauf, daß Roilant sich wie ein dummer Bengel von acht Jahren vorkam. Dann kam Eliset. Eliset war wie ein Sonnenaufgang, Sie wischte seinen Kummer beiseite und verwandelte alles. Während Mervary I über den Mangel an den guten Dingen des Lebens auf Flor jammerte und immer mal wieder bemerkte: »Zweifellos vermißt du die Annehmlichkeiten deines Elternhauses«, und Mervary II Roilant zu einem Brettspiel>Ritter und Burg<überredete, um ihn dann fünfmal zu schlagen, war Eliset freundlich und rücksichtsvoll. In den folgenden zwei Tagen erfand sie eine Aus rede nach der anderen, um Roilant aus der Gesellschaft von Onkel und Cousin zu befreien und mit ihm allein zu sein. Sogar ihre Dienerin schickte sie unter irgendeinem Vorwand zum Haus zurück. Eigentlich war es unschicklich, und Roilant, der sehr auf Anstand hielt, fühlte. sich manchmal unbehaglich. Aber Eliset war ein
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