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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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nachgab und zu Boden polterte. Sie war unverletzt, war aber nur um Haaresbreite dem Tod entronnen. Der Vorfall war äußerst eigenartig, da an dem Mauerwerk kein Anzeichen von Verfall sichtbar gewesen war. Ihr Vater, der Roilant die Nachricht angeblich geschickt hatte, um ihn zu beruhigen, falls Roilant etwas anderes gehört haben sollte, in Wahrheit aber den zögernden Verehrer etwas in Schwung bringen wollte, war tief gekränkt, als er Roilants Antwort erhielt. Roilant drückte seine Erleichterung darüber aus, daß der jungen Frau nichts passiert war, und bedauerte, daß er in der nächsten Zeit nicht dazu kommen werde, sie zu besuchen; bei der nächsten Gelegenheit hoffe er, ihnen seine neue Frau vorstellen zu können.
    »Was mich betraf, so blieb es sich gleich. Wenn es in ihrer Absicht lag, konnte Eliset mich durch Hexerei töten, ob ich sie heiratete oder nicht. Aber als meine liebe - als die Dame, der ich den Hof machte, gleichfalls in Gefahr geriet, wagte ich es nicht, noch länger zu zögern. Noch an jenem Abend schrieb ich einen Brief an Eliset und überredete den Boten mit Geld, in größter Eile nach Flor zu reiten.«
    »Und was stand in dem Brief?«
    »Nun, daß ich am letzten Tag des Monats an ihrer Seite sein würde.«
    »Womit Euch kaum noch so viel Zeit bleibt, wie Ihr für den Weg benötigt.«
    »Ich war auf der Suche nach Euch.«
    »Und hier bin ich«, sagte Cyrion.
    Roilant runzelte die Stirn. »Ich bin kein Märtyrer. Ich will nicht sterben. Oder betrogen werden. Aber ich würde nie das Leben einer Dame aufs Spiel setzen. Und seit ich versprochen habe, meine Cousine aufzusuchen, ist alles ruhig geblieben.«
    »Gehe ich recht in der Annahme«, sagte Cyrion und hielt still, als die braune Katze ihren Kopf an seiner Wange rieb, »daß Ihr Eure Dame auch in dem Brief erwähnt habt, der Eure Cousine von der Auflösung des Verlöbnisses unterrichtete?«
    »Ja. Eine Unbedachtsamkeit. Ich hoffte, dieser Grund würde die Zurückweisung für sie erträglicher machen. Außerdem fügte ich hinzu, dadurch, daß ich Eliset seit neun Jahren nicht gesehen hätte, wäre meine Erinnerung an ihre Schönheit verblaßt.«
    »Äußerst taktvoll«, bemerkte Cyrion. Roilant betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen und ahnte, daß sein Gesprächspartner genau das Gegenteil meinte, wie es ihm selbst auch schon in den Sinn gekommen war. »Zumindest«, sprach Cyrion weiter, »erfuhr Eliset nicht durch Zauberei von Eurer neuen Liebe. Wäre das der Fall gewesen, hätte sie nämlich auf demselben Wege erfahren können, daß Ihr nach mir gesucht habt.«
    »Gott bewahre uns.«
    »Eben. Allerdings glaube ich, daß diese Kräfte anderer Art sind. Der Verstand wird benutzt, um die Kraft des Willens zu unterstützen. Der Zauber wirkt nur durch das, was auf gewöhnlichem Wege in Erfahrung gebracht wurde.«
    Der dickliche Herr breitete erleichtert die Arme aus und stieß seinen Weinbecher um. Angewidert betrachtete er sich die Folgen seiner Ungeschicklichkeit. Die braune Katze allerdings, sprang hocherfreut auf den Tisch und begann sich an der Weinpfütze gütlich zu tun. »Ihr seht, wie es mit mir ist«, sagte Roilant treuherzig. »Ich bin kein gewandter Mann der Tat und habe keinen scharfen und schnellen Verstand. Aber bis man mich ausraubt, bin ich reich. Werdet Ihr mir helfen?«
    »Wie«, fragte Cyrion, »sollte diese Hilfe Eurer Meinung nach aussehen?«
    Roilant kannte derartige Fragen aus den Geschichten und weigerte sich, darauf einzugehen.
    »Ihr seid die Legende. Deshalb liegt die Entscheidung bei Euch«, sagte er fest.
    Die Katze hatte den Wein aufgeleckt. Auf unsicheren Beinen tappte sie über den Tisch und fiel Cyrion in die Arme.
    »Drei Trankopfer sollten Glück bringen«, meinte Cyrion. »Trotzdem kann ich Euch prophezeien, daß Ihr morgen nach Flor reisen müßt. Und zwar so schnell Ihr könnt.«

 

Cyrion in Stein
1. Kapitel
     
    Wo die Straße nach Cassireia eine Biegung machte, zweigte ein schmaler Pfad ab, der in vielen Windungen bergauf führte, an Wäldern und Felsen vorbei, und schließlich ohne besondere Absicht zwei planlos angelegte Dörfer berührte. In dem zweiten Dorf endete der Pfad, des Abenteuers überdrüssig.
    Eine Meile voraus, durch eine Lücke zwischen zwei Bergen, waren die Obsthaine Flors zu sehen und dahinter die grasbewachsene Anhöhe mit dem Herrenhaus und dem Turm auf den Klippen.
    In früheren Zeiten hatten die Dörfer ganz in der Nähe des Anwesens gelegen. Als die remusische

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