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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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    »Kleine Gespensterschiffchen, die in dem Brunnen herumschwimmen -« ächzte Mevary.
    »Ja, Herr, ja«, bestätigte Dassin eifrig.
    »Sei still«, sagte Mevary. »Verschwinde. Fürst Roilant braucht dich nicht mehr. Geh und genieße deine Bauchschmerzen, oder stirb an Gift.«
    Dassin grapschte zwei Händevoll Brot und Früchte und floh aus dem Pavillon und von dem Dach.
    Seinem Verschwinden folgte eine Stille, die nur von dem Rauschen des Meeres unterbrochen wurde. Auf unerklärliche Weise schien dieses Geräusch nicht nur vom Strand, sondern auch aus dem Inneren des Hauses zu kommen, ein gedämpftes, geheimnisvolles Singen. Und auf dem Festland sang eine Nachtigall; ihr zartes Lied klang in der weit offenen Schale der Nacht, so strahlend und klar, wie das Kristall von Flor es nicht war.
    »Dieser Ort ist so schön«, sagte Eliset plötzlich wie geistesabwesend. Ihre Augen waren zwei blaue Flammen. »Ich würde alles tun, um Flor zu behalten. Selbst wenn alle Dächer eingestürzt sind, wenn kein Stein mehr auf dem anderen liegt, werde ich hier zwischen den Ruinen leben. Und wenn ich sterbe, ja, auch mein Geist wird hier umherwandern. Ich hätte nicht den Wunsch, im Grab zu ruhen.«
    »Roilant hat entschieden, daß du in Heruzala wohnen wirst«, unterbrach sie Mevary.
    Der Glanz in ihren Augen erlosch. Sie betrachtete ihren zukünftigen Gatten nicht mit Abscheu, aber mit einer sachlichen Zärtlichkeit. Er hatte einen ähnlichen Ausdruck auf den Gesichtern von Henkern gesehen, kurz bevor sie das Schert hoben.
    »Dann werde ich natürlich gehorchen. Meine Worte kamen aus dem Herzen, nicht aus dem Verstand. Hör nicht auf mich, Roilant. Ich werde ohne Widerrede mit dir gehen. Vorausgesetzt, daß sich jemand findet, der das Grab meines Vaters pflegt - er liegt hier begraben, neben dem Turm. Morgen, wenn du erlaubst, werde ich dir die Stelle zeigen.«
    Diese vergnügliche Aussicht hob seine Stimmung keineswegs.
    »Habe ich es nicht schon bei meinem letzten Besuch gesehen?« versuchte er abzuwehren.
    »Damals fehlte noch die Steinfigur.« Das machte natürlich einen Unterschied.
    Bald danach berief sich der Gast auf die Beschwernisse der Reise und entschuldigte sich.
    »Wenn mein toter Vater dich aufweckt«, rief Mevary ihm nach, »richte ihm meine besten Grüße aus. Ruhe in Frieden, Roilant.«
    Um Mitternacht saß Roilant, statt friedlich zu ruhen, unter der Buche zwischen den Obsthainen und dem Herrenhaus von Flor. Der Mond war längst über das Haus hinweggewandert und schwamm über dem Meer; wegen des dazwischenliegenden
    Gebäudes drang sein Licht nicht mehr bis zu Roilant. Daher war es unter dem Baum dunkel, was Roilant nicht eben begrüßte. Er, der erst vor kurzem zum Aberglauben bekehrt worden war, besaß keine Abwehrkräfte gegen so etwas Unangenehmes wie Angst vor der Dunkelheit. Auch hatte der Anblick von Flor eigenartige Gefühle in ihm geweckt.
    Während er auf Cyrion wartete, mit dem er sich hier treffen wollte, jagten sich in Roilants Kopf Jugenderinnerungen an Eliset und übermächtige Zweifel. Vielleicht war die Erscheinung gar keine Drohung gewesen, sondern er hatte sie nur als solche angesehen. Und das Dach mochte zufällig eingestürzt sein - an dem Tag hatte es heftig geregnet. Vielleicht war Elisets Hoffnung darauf, aus der Armut erlöst zu werden und wieder in einer standesgemäßen Umgebung zu leben, so stark gewesen, daß sie vor ihm Gestalt angenommen hatte. Also keine Zauberei, sondern nur die Kraft eines starken Willens, der noch von ungestümer Sehnsucht unterstützt wurde.
    Und vielleicht Roilant schreckte aus seinen Gedanken auf.
    Eine schattenhafte Gestalt war zwischen den Bäumen hinter ihm zum Vorschein gekommen und setzte sich neben ihm ins Gras.
    »Eine wunderschöne Nacht«, bemerkte Cyrion.
    »Ihr seid aus einer anderen Richtung gekommen, als ich angenommen hatte.«
    »Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich habe einen Umweg gemacht.«
    »Falls Euch jemand beobachtete?«
    »Ich glaube nicht, daß mich jemand beobachtet hat. Dassin, der Eure Tür bewachen sollte, unterlag dem Pulver, das heute Abend in Euren Wein rieselte. Es machte ihn überaus gesprächig, aber anschließend schlummerte er sanft ein. Was den Umweg betrifft, so habe ich lediglich die Gegend erkundet.«
    »Wie ist Euch das mit dem Pulver gelungen?«
    »In einem Ring«, sagte Cyrion. »Erinnert Ihr Euch an Sabara? Ich hatte mir noch etwas ausgedacht, falls Mevary einen der drei anderen als Wache

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