Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
Vom Netzwerk:
einteilte.«
    Roilant neigte sich ein wenig zurück. Obwohl er nachts nicht besonders gut sehen konnte, musterte er, Cyrion eingehend. Schließlich bemerkte er: »Und so sehe ich in Euren Augen aus?«
    »Nein. Ich sehe so aus, wie sie erwartet haben, daß Roilant aussehen würde.«
    »Eine Übertreibung also. Ich bin kein eitler Mensch, aber -«
    »Aber das hier ist ziemlich plump, und mit Absicht. Ihr und ich sind uns nicht ähnlich, und sie haben Euch ein- oder zweimal gesehen, wenn auch nur kurz und vor langer Zeit. Daß ich größer bin, als sie erwarteten, ist glaubhaft, denn junge Männer wachsen, obwohl es Mevary nicht gefällt, daß Ihr jetzt fünf Zentimeter größer seid als er selbst. Morgen wird er wahrscheinlich Stiefel mit hohen Absätzen tragen. Und das übrige, nun, die Polster am Leib sind übertrieben und hätten mich im Badehaus beinahe verraten, wäre ich nicht darauf vorbereitet gewesen, von irgend jemandem überrascht zu werden. Die Polster in meinen Wangen sind auch nicht viel sicherer und eine Plage. Meine eingestandene Furcht vor Gift wurde allerdings noch glaubhafter dadurch, daß ich bei Tisch so lustlos gegessen habe. Die Tränensäcke unter meinen Augen jucken. Ich bin sicher, daß es Euch freut, das zu hören.«
    »Und Eure Haarfarbe soll wohl einer Orange ähneln?«
    »Der Karikatur einer Orange, versichere ich Euch.«
    Roilant lächelte und mußte dann wider Willen lachen.
    »Wahrscheinlich verdiene ich diesen Schlag gegen mein ohnehin unterentwickeltes Selbstbewußtsein. Ihr wagt Euer Leben für mich.«
    »Tatsächlich?« Cyrion, der die Polster aus seinen Wangen entfernt hatte, biß in einen der vorzeitigen Pfirsiche Flors. »Und was habt Ihr zu berichten?«
    »Mein Diener machte den Priester, von dem Ihr gesprochen habt, ausfindig. Alles ist so vorbereitet, wie es vereinbart war.«
    »Eure beiden Diener wurden in das Dorf zurückgeschickt, wie ich es vorausgesehen hatte. Mevary braucht keine überflüssigen Zeugen bei was immer er auch tut. Sie wurden angewiesen, nach einiger Zeit Langeweile vorzutäuschen und nach Cassireia zu reiten, nicht ohne sich vorher den Dorfklatsch anzuhören.«
    »Ich habe in beiden Dörfern meine Rolle als vermummter Reisender gespielt. Aber der einzige Klatsch den ich gehört habe, war schiere Phantasterei. Weibliche Dämonen, halb Fisch, halb Frau, die sich singend aus dem Meer vor den Klippen erheben. Sie stehlen Schiffe, wenn es ihnen gelingt, sie in die Irre zu leiten, und auch kleine Kinder, während sie die Männer ihrer Gottheit opfern.«
    »Ein eintöniger und recht unappetitlicher Lebensunterhalt. Und was ist mit dem Schatz, der auf Flor vergraben sein soll?«
    »Welcher Schatz?«
    »Eure Cousine Eliset hat ihn erwähnt. Der Hort einer geisterhaften Legion Remusaner, den sie, wie es sich gehört, in dem Badehaus zurückließen.«
    »Ich glaube«, meinte Roilant vage, »das war ein Spiel, das ich als Kind spielte, und nicht mehr.« Eine Pause und dann, bestimmter: »Es wird Euch seltsam vorkommen - oder vielleicht auch nicht. Gerade ist mir eingefallen, daß auch ich einmal einen Geist in dem Badehaus gesehen zu haben glaubte, einen Knaben, mit einem Tuch um den Kopf - er verschwand in dem Gang. Ich war auch nur ein Junge und zu Besuch. Ich habe nie davon gesprochen.« Cyrion sagte nichts, bis Roilant, der sich fragte, ob man ihm überhaupt zuhörte, fragte: »Was jetzt?«
    »Nichts. Noch sind, sie am Zug. Haltet Euch nur bereit. Ihr erinnert Euch doch noch an die Rolle, die Ihr spielen sollt?«
    »O ja. Sie hat einen gewissen grimmigen Humor. Ihr wollt gehen?«
    »Ich überlasse Euch der Nacht.«
    »Wartet -«
    Cyrion blieb stehen. Seine Haltung war anmutig wie immer, trotz der neuen und nicht sehr ansehnlichen Körperformen, die er der Polsterung verdankte.
    »Ist sie«, sagte Roilant, »ist Eliset das - wofür ich sie halte?«
    »Ich hörte einen Teil eines Gesprächs zwischen Euren beiden Cousins auf der Dachterrasse. Sie sagte ihm, er sei ihr einziger Gott, und die darauffolgende Umarmung war nicht rein freundschaftlich. Sie bemerkte auch, daß Ihr nicht sterben dürftet, bevor Ihr sie nicht geheiratet hattet.«
    »Ah.« Roilant senkte den Kopf. »Nicht, daß ich sie liebte. Aber es bedrückt mich, so von ihr zu denken.«
    »Dann, mein Freund«, sagte Cyrion, »denkt nicht so von ihr.«
    Mit nur dem leisesten Rascheln der Grashalme war er verschwunden.
    Der einfachste Weg, um das Haus zu verlassen, führte durch den kleinen, von einer Mauer

Weitere Kostenlose Bücher