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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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bedrückt, sowohl wegen Mevarys geschmacklosem Scherz, als auch wegen der sich anbietenden Schlußfolgerung. Aber je mehr ihr ingwerhaariger
    Gast die Notwendigkeit eines Vorkosters bestritt, desto nachdrücklicher winkte Mevary Dassin an den Tisch. Dassin gehorchte bereitwillig. Bis sein unfreiwilliger Arbeitgeber alle Gegenwehr aufgab und ihm eigenhändig den Weinbecher reichte.
    »Womit jedem klar sein dürfte«, bemerkte Mevary, »daß wir den Plan, ihn durch Gift loszuwerden, fallen lassen müssen. Oder aber wir verlieren außerdem noch einen unserer kostbaren Diener.«
    Eliset schwankte zwischen Lächeln und offensichtlicher Verzweiflung.
    »Denkst du wirklich so schlecht von uns?« fragte sie. »Daß wir, deine Blutsverwandten, versuchen würden, dir ein Leid anzutun?«
    »Ich wurde gewarnt, daß so etwas möglich sein könnte.«
    »Wer hat dich gewarnt?« rief sie. Sie schien sich getroffen zu fühlen und wirkte plötzlich sehr wachsam.
    »Aber«, sagte der unattraktive Gast und wusch seine so wider Erwarten bewunderten Hände in der Fingerschale aus blindem Metall, »ich hörte nicht auf dieses Geschwätz. Wäre ich sonst hier hergekommen? Ich habe die Absicht, dich zu meiner Frau zu machen. Es wird dich interessieren zu hören, daß ich oft von dir geträumt habe. Seltsame Träume, die mich an die Pflicht - und, äh, natürlich - das Vergnügen erinnerten, den Vertrag einzuhalten, den unsere Väter für uns abschlossen.«
    »Träume«, meinte Eliset. Ihr Gesicht war so bleich wie ihr seidenes Kleid, ihre Augen so kalt und ausdruckslos wie die Chalzedone, mit denen es bestickt war. »Ich habe dich nie für jemanden gehalten, Roilant, der sich von Träumen beunruhigen läßt.«
    »Dieser Traum aber war besonders eindeutig. Und er kehrte mehrmals wieder. Irgendwie hing er mit den getrockneten Blumen zusammen, die du mir vor langer Zeit geschickt hattest - und mit dem kleinen Amulett, das nach dem unzeitigen Tod meines Vaters eintraf. Du standest vor mir, bewegungslos und bleich. Der Bund ist geschlossen und darf nicht gelöst werden, hast du gesagt. Komm zu mir, bevor der Monat herum ist.«
    Eliset lachte gezwungen. Jedenfalls bemerkte ihr Gegenüber, daß es nicht echt war, obwohl es so frisch und perlend klang wie ein über Felsen herabfallender Bach.
    »War ich tatsächlich so dreist?«
    Der dickliche Erzähler schien das Unpassende seiner Wortwahl zu erkennen und hüstelte in seine Serviette. Der hagere, sehnige Cousin bemerkte honigsüß: »Vielleicht hat eine uneingestandene Sehnsucht dich veranlaßt, Eliset, ihn im Schlaf zu besuchen und an sein Versprechen zu erinnern«.
    »Ich glaube nicht an so etwas«, wies sie ihn zurecht. Sie war erregt und suchte sich zu fassen.
    Die Hexe und ihre Zauberkünste aus der Nähe zu beobachten, war also doch ganz interessant.
    »Und doch glaubst du daran, daß es in diesem Haus spukt«, sagte Mevary. »Themawechsel? Wir haben mehr Geister hier als lebende Menschen, Roilant. Soll ich sie aufzählen? Mein Vater, behauptet man wenigstens. Elisets alte Amme, Tabbit. Dann gibt es da noch eine ganze Legion Remusaner, die kommen und gehen, Trompete blasen und Militärmärsche singen. Das Badehaus ist auf jeden Fall eine Brutstätte von Gespenstern. Nach Einbruch der Dunkelheit wagen sich die Diener nicht einmal in die Nähe, und auch tagsüber betreten sie es nur ungern. Habe ich recht, Dassin?«
    Dassin schluckte eine große Feige hinunter und rollte die Augen. »Wir haben Geräusche gehört. Und Lichter gesehen, in dem Gang, der früher mal ein Hof war.« Dassins Entsetzen wirkte echt. Er war blaß geworden, aber das war vielleicht nur eine Folge seiner Gefräßigkeit oder das erste Anzeichen für eine Vergiftung. »Vor einem Monat«, fuhr er aufgeregt fort, »schlief
    Jobel in der Nähe des Badehauses ein, als er sich vor der Arbeit drücken wollte. Er wachte erst wieder auf, als es dunkel war, und sah ein Licht aus dem Brunnen scheinen. Er ging hin und schaute hinab und sah plötzlich Wasser in dem sonst trockenen Schacht und darauf schwamm ein winziges Schiff, nicht größer als meine Hand, mit kleinen Fackeln und einem kleinen roten Segel -«
    Mevary johlte vor Vergnügen und rollte über die Kissen, bis sein Kopf in Elisets seidenem Schoß zu liegen kam.
    »Du sollst dich über solche Erscheinungen nicht lustig machen«, sagte Eliset ruhig. »Die Welt ist voller unbegreiflicher Dinge. Auch ich habe manchmal die Stimmen der Geister und den Klang der Trompeten gehört

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