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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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weiter. Im Gegenteil, man fühlt sich noch mieser. Ich weiß es doch, warum kann ich es nicht umsetzen? , sagt man sich dann lediglich.
    Seien Sie ehrlich: Die Ratgeberbücher, die Ihnen in Ihrem Leben wirklich geholfen haben, waren allesamt solche, in denen Dinge standen, die Ihnen völlig neu waren. Sei es Die perfekte Motorrad-Restaurierung oder 1000 ganz geniale Haushaltstipps . Da haben Sie etwas mitgenommen, das Ihnen für Ihr ganzes Leben nützlich sein wird und das Sie nie vergessen werden.
    Psychotherapiepatienten haben in der Regel mehr als genug Ratschläge in ihrem Leben erhalten. Auch wenn es den Therapeuten noch so sehr in den Fingern juckt, sollte er sich nicht in die lange Reihe der Ratschläger einordnen. Schauen wir auch dazu kurz bei einer psychotherapeutischen Behandlung durchs Schlüsselloch.
    Die Patientin berichtet gerade, wie seltsam sie es findet, dass sie noch nie in ihrem Leben einen Freund hatte. Schon während der Schulzeit, als die anderen anfingen, mit Jungs auszugehen, hat sie jeden Abend zu Hause gesessen. Und sie kann sich nicht einmal erklären, woran das gelegen hat.
    Na, ich könnt’s dir schon erklären , denken Sie. Die Patientin ist etwas übergewichtig, trägt Jeans, die schon einmal bessere Tage gesehen haben, ein formloses Sweatshirt, und ihre Haare verraten, dass kein Friseur im letzten Jahr an ihr auch nur einen Cent verdient hat. In einer Stylingshow würde sich nun ein Heer von Beautyspezialisten über sie hermachen und sie in etwas verwandeln, das mit dem Ausgangsprodukt nicht mehr viel zu tun hat.
    Eigentlich ein klarer Fall. Der Therapeut braucht jetzt nur ein wenig Mut und Einfühlungsvermögen, um der Patientin zu stecken, woran es liegt, dass niemand sie mit Paarungsinteresse betrachtet. Und ihr einige Tipps zu geben, wie sie das ändern kann. Vielleicht sollte er sie aber auch zu einer Kollegin schicken, die sich mit so etwas bestimmt besser auskennt als ein männlicher Therapeut.
    Nix da. Ein guter Psychotherapeut wird sich hüten, der Patientin einen Besuch beim Friseur oder bei der Kosmetikerin anzuraten oder ihr den Kauf einer Frauenzeitschrift zu empfehlen. Weil er weiß, dass selbst die Beautyspezialisten scheitern würden. Kämen die ein paar Monate später noch einmal wieder, müssten sie wahrscheinlich feststellen, dass ihr Schwan sich wieder in ein Entlein zurückverwandelt hat.
    Vor vielen Jahren habe ich einmal in einer Frauenzeitschrift ein spektakuläres Umstyling gesehen, wo ich schon damals dachte: Das wird nicht halten.
    Das Vorher-Foto zeigte eine Frau mit einem Rollkragenpullover, einer großen Brille und einem Pagenkopf, dessen Pony ihr tief ins Gesicht hing. Auf dem Nachher-Foto trug dieselbe Frau Kontaktlinsen, einen tief ausgeschnittenen Pullover, und man hatte ihr die Haare zurückgekämmt. Natürlich sah sie damit gut aus, keine Frage. Aber irgendwie auch so, als habe man ihr alles weggenommen, hinter dem sie sich vorher versteckt hatte.
    Vielleicht hat sie sich mit diesem Schutz nicht mehr wohlgefühlt. Aber solange sie selbst nicht wusste, wofür sie ihn brauchte, wird sie sicher wieder zu ihm zurückgekehrt sein.
    Auch unsere Patientin weiß natürlich, dass es Schminke und Boutiquen gibt. Wenn sie dafür sorgt, dass kein Mann sie anziehend findet, wird sie einen Grund dafür haben. Psychotherapeuten gehen davon aus, dass es diesen Grund gibt. Und dass er der Patientin offenbar nicht bewusst ist, sonst wäre sie schon einen Schritt weiter. Bewusst ist ihr der Wunsch nach einer Beziehung. Vielleicht fühlt sie sich einsam, vielleicht will sie auch nur so sein wie alle anderen. Nicht bewusst ist ihr hingegen, warum das bisher nicht geklappt hat. Hier würde der Psychotherapeut vermuten, dass etwas diesem Wunsch entgegenarbeitet. Vielleicht ist die Angst vor einer Beziehung größer als die Sehnsucht danach. Vielleicht war die Ehe der Eltern so von Streit geprägt, dass die Patientin nun fürchtet, es könne ihr in einer Partnerschaft ebenso ergehen.
    Noch kennt der Therapeut die Ursache nicht. Aber er weiß, dass es sie geben muss. Vielleicht gibt es sogar mehrere Ursachen. Gemeinsam mit der Patientin kann er versuchen, sie herauszufinden.
    Zusammen mit einer Kollegin habe ich über viele Jahre Psychotherapeuten ausgebildet. Wir haben ihnen streng eingeschärft, niemals das Wort »Volkshochschule« auszusprechen. Vor allem bei depressiven Patienten, die niedergedrückt sind und zu nichts mehr Lust haben, geraten unerfahrene Therapeuten

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