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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Ratschlag, der alle Probleme löst, und die Sache ist geritzt. Stattdessen muss er nun erfahren, dass die Geschichte doch ein bisschen länger dauert. Vielleicht sogar richtig lange. Obwohl es natürlich große Unterschiede gibt, hier ein paar Anhaltspunkte: Eine Verhaltenstherapie dauert im Schnitt etwas über ein Jahr, eine tiefenpsychologische Psychotherapie knapp siebzehn Monate und eine analytische Psychotherapie etwa zwei Jahre.
    Um in die tieferen Schichten der Psyche beziehungsweise des Verhaltens vorzudringen, braucht es schon ein bisschen Zeit. Schließlich ist da manches derart verhärtet, dass der Therapeut sich mit seinem feinen Hämmerchen nur sehr langsam durch das jahrzehntealte Gestein vorarbeiten kann. Wenn man sich einmal ein Fremdwort falsch eingeprägt oder ein Wort in einer anderen Sprache falsch gelernt hat, ist es viel schwieriger, in Zukunft das korrekte Wort zu benutzen, als wenn man es von Anfang an richtig gelernt hätte. Umlernen ist erheblich schwerer als Neulernen. Und das ist Psychotherapie in der Regel: umlernen.
    Selbst die Krankenkassen, die sonst ja oft recht knauserig sind, sehen ein, dass eine Psychotherapie etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt. In der Regel genehmigen sie erst einmal fünfundzwanzig Stunden. Bei einer psychoanalytischen Behandlung in Ausnahmefällen bis zu dreihundert Stunden. Bei einer tiefenpsychologischen Therapie insgesamt bis zu achtzig oder, in Ausnahmefällen, einhundert Stunden. Bei einer verhaltenstherapeutischen Behandlung bis zu achtzig Stunden.
    Man kann nicht in der Welt herumspazieren, ohne eine Menge Unsinn zu hören. So habe ich einmal die Meinung gehört, es läge gar nicht im Interesse von Psychotherapeuten, ihre Patienten zu heilen. Vielmehr versuchten wir, sie so lange wie möglich krank zu halten, um möglichst viel Geld aus ihnen herauszuholen.
    Diesseits solcher Verschwörungstheorien sieht es so aus: Der Bedarf an Psychotherapie ist größer als das Angebot. Niemand von uns sitzt in seiner Praxis, dreht Däumchen und hofft, dass endlich einmal ein Patient anruft.
    Wenn Therapien lange dauern, dann deshalb, weil es Zeit braucht, bis etwas, das sich verfestigt hat, wieder in Bewegung kommt. Wer Rückenbeschwerden hat, wird auch ein paarmal zum Physiotherapeuten gehen müssen. Der hat auch nicht die eine geniale Übung, die er den Patienten einmal machen lässt, und der ist danach seine Beschwerden für alle Zeiten los. Und ebenso wenig gibt es eben den einen genialen Ratschlag, der alle Probleme löst.
    Ratschläge und Nebenwirkungen
    Vor allem Tiefenpsychologen und Psychoanalytiker sind mit Ratschlägen mehr als geizig. Es kommt vor, dass Patienten das am Anfang als überaus frustrierend empfinden. Schließlich sind Ratschläge doch üblich draußen in der Welt. Man erzählt der besten Freundin, was einen drückt, und die hat sofort einen guten Rat parat. Na ja, der hilft fast nie. Ein paar Ratgeberbücher hat man vielleicht auch schon gelesen, wenn die allerdings funktioniert hätten, säße man jetzt nicht hier.
    Aber beim Psychotherapeuten muss das doch anders sein, glauben viele Patienten. Der hat sicher einen geheimen Fundus an Tipps, irgendetwas ganz Verblüffendes, das man sofort einsieht und umsetzen kann – und alles ist gut.
    Ich bin absolut keine Freundin von Ratschlägen. Ratschläge gehören ausschließlich dorthin, wo jemand von einer konkreten Sache keine Ahnung hat. Wenn Ihr PC plötzlich verrückte Dinge tut, die er nicht tun sollte, rufen Sie jemanden an, der sich mit dem komplizierten Innenleben von Computern auskennt, und erbitten seinen Rat. Er wird Ihnen sagen, welche Tasten Sie drücken müssen, und schon sind Ihr PC und Sie wieder ein Herz und eine Seele.
    Sie haben einen guten Rat bekommen, denn Sie wissen jetzt etwas, das Sie vorher nicht wussten.
    Rufen Sie Ihre beste Freundin an, um sich wieder einmal über Ihren Mann zu beschweren, und die empfiehlt Ihnen, sich endlich von ihm zu trennen, dann ist das kein guter Rat. Sie hat Ihnen nämlich etwas empfohlen, das Sie längst wussten. Sie wussten, dass es die Möglichkeit gibt, sich zu trennen. Wahrscheinlich kennen Sie sogar Leute, die es getan haben. Wenn Sie es nicht tun, gibt es Gründe dafür. Vielleicht sind Sie noch nicht so weit, vielleicht wollen Sie sich gar nicht trennen, sondern sich nur ab und zu beschweren. Vielleicht hindern Ängste Sie daran, die aus dem Unbewussten kommen. Etwas geraten zu bekommen, dessen Existenz einem bekannt ist, hilft nicht

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