Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Zen-Meistern zu hören bekommt:
Wenn ich gehe, dann gehe ich, und wenn ich esse, dann esse ich.
Wie oft tun Sie das wirklich? Wie oft sind Sie mit Ihren Gedanken dort, wo Sie sich gerade aufhalten? Die meiste Zeit verbringen wir mit Planen und Vorausdenken. Und oft bekommen wir überhaupt nichts mit von dem, was uns gerade umgibt. Jeder hat schon einmal die Erfahrung gemacht, dass ihm in der Straße, in der er seit zwanzig Jahren wohnt, plötzlich ein Giebel oder eine Haustür auffallen, die ebenfalls schon seit zwanzig Jahren dort existieren, ohne dass sie einem je aufgefallen wären. Weil man mit den Gedanken stets sonstwo war, wenn man daran vorüberging.
Den Unterschied zwischen ständigem Vorausdenken und Ganz-im-Augenblick-Sein kann man besonders gut bei einer Mutter mit einem kleinen Kind beobachten, die auf dem Weg zum Supermarkt sind. Die Mutter hat nur im Kopf, dass sie vor dreizehn Uhr noch ein Rezept beim Arzt abholen muss, dass sie das Waschmittel nicht vergessen darf, das nicht auf der Einkaufsliste steht, und ob die Zeit noch reichen wird, das Geburtstagspäckchen für die Schwägerin zu packen und auf die Post zu bringen. Das Kind ist ganz im Hier und Jetzt. Für die Mutter sieht es wie Trödeln aus, wenn es stehen bleibt, um einen Käfer zu beobachten oder sich bückt, weil es einen Stein aufheben möchte. Im schlimmsten Fall treibt das Kind sie zur Weißglut mit etwas, von dem sie sich eigentlich eine Scheibe abschneiden sollte.
Vielleicht sehnen sich deshalb viele Menschen nach der Kinderzeit zurück, weil sie damals noch die Fähigkeit besaßen, ganz im Augenblick zu leben. Uns allen tut es gut, ab und an alles aus unserem Hirn zu verbannen, was nichts mit dem absolut gegenwärtigen Hier und Jetzt zu tun hat. Zeit dafür haben sogar Sie, denn selbst ein gestresster Mensch wie Sie ist hin und wieder ein paar Minuten allein. Es reicht schon, wenn Sie mit einer Minute anfangen, vielleicht auf dem Weg vom Parkplatz ins Geschäft.
Beschränken Sie sich auf einen einzigen Sinneseindruck. Vielleicht funktioniert es bei Ihnen mit dem Hören am besten, vielleicht mit dem Sehen. Versuchen Sie, jeden bewussten Gedanken zu verbannen, und stellen Sie sich vor, Sie seien ein riesiges Ohr. Oder ein überdimensionales Auge. Seien Sie nur Gehör. Oder seien Sie nur aufmerksamer Blick.
Das ist gar nicht so einfach. Aber versuchen Sie es einmal. Wenigstens bis zur nächsten Ecke. Und beim nächsten Mal noch eine Ecke weiter. Wenn Sie es richtig gemacht haben, fühlt Ihre Psyche sich anschließend wie frisch geduscht.
Wenn Ihnen das besonders schwerfällt, Sie aber Science-Fiction- oder Agentenfilme mögen, stellen Sie sich vor, Sie seien ein mit einem speziellen Chip ausgestatteter Wissenschaftler oder Spion. Sie haben den Auftrag, alles über Ihre Umgebung herauszufinden und auf diesem Chip zu speichern. Alles, was Sie hören. Oder alles, was Sie sehen. Jedes Detail. Sie müssen nur Ihre Gedanken verbannen, weil sie die Aufzeichnung stören.
Viel Spaß also beim Psyche-Duschen!
Toben, Rennen, Spielen
Zu Beginn der Therapie frage ich Patienten, ob sie Hobbys und Freunde haben oder ob sie Sport treiben. Wenn sie dies bejahen können, bin ich froh, denn das sind Dinge, die stützen und gesund erhalten.
Was im Kindesalter das Toben ist, nennen wir später Sport. Bewegung ist gesund, das wissen wir alle, schließlich bekommen wir es überall und ständig in die Ohren getrötet, so oft, dass Herr Über-Ich das Thema bereits zu einem festen Bestandteil seiner Vorwurfslitanei gemacht hat.
»Du solltest dich viel mehr bewegen!«, sagt er, oder: »Weißt du eigentlich, was das Abo im Fitnessstudio dich jeden Monat kostet? Wann warst du zum letzten Mal dort?« Und wenn es einem dann noch nicht schlecht genug geht, schiebt er gern noch ein paar Beschimpfungen hinterher, die sich auf unseren Charakter beziehen.
Manche Dinge tun wir wirklich nur, weil sie vernünftig sind. Gut, es gibt Menschen, die leidenschaftlich gern bügeln – etwas, wovon die meisten nur träumen können –, aber ich habe noch nie von jemandem gehört, der sich gern die Zähne putzt. Obwohl einem dabei immer die besten Ideen kommen. Bewegung hingegen ist etwas, das uns einmal richtig Freude gemacht hat. Kinder hopsen, springen, klettern gern. Es gilt also nicht – wie beim Zähneputzen – etwas zu erlernen, das wir eigentlich doof finden, sondern etwas wiederzuentdecken, das vielen von uns abhandengekommen ist.
Bei manchen Patienten
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