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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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auch nicht den geringsten Grund, sich dafür zu schämen, wenn Sie es nicht tun. Das wird schon seine Berechtigung haben. Lassen Sie sich von Herrn Über-Ich nicht davon abhalten, neugierig auf sich selbst zu sein. Menschen sind in der Schule mit anspruchsvoller Literatur in Berührung gekommen. Sie wissen, dass es so etwas gibt. Einige bleiben auch nach der Schule dabei. Wer es nicht tut, sollte sich dafür nicht beschimpfen, sondern sich aus blanker Neugier und freundlichem Interesse heraus fragen, warum er wohl mag, was er mag.
    Wer den ganzen Tag im Büro mit nichts als endlos langen Zahlenkolonnen zu tun hat und dabei kaum einen anderen Menschen zu Gesicht bekommt, genießt es möglicherweise, abends seine vertraute Vorabendserie anzuschauen. Das ist für ihn, wie zu seiner Familie heimzukommen, allerdings zu einer, die keine Ansprüche stellt. Wer den ganzen Tag am Telefon mit schlecht gelaunten Kunden zu tun hat, möchte abends vielleicht eine lustige Serie sehen. Schlau wie die Psyche meist ist, sucht sie sich einen Ausgleich, um die seelischen Muskeln nicht einseitig zu belasten.
    Natürlich ist es grundsätzlich gut, trotzdem ab und zu die Birne einzuschalten. Einem Menschen, dem bewusst ist, dass das Modelbusiness jungen Mädchen falsche Ideale vermittelt und bei vielen zu Körperbildstörungen beiträgt, schadet es nicht, sich Germany’s Next Top Model reinzuziehen. Ein junges Mädchen hingegen, das meint, diese Sendung sei ein Schulungsprogramm, das eine solide Ausbildung ersetzt, und sie müsse nur noch zwanzig Kilo herunterhungern, um den einzigen Berufsweg einschlagen zu können, der für sie infrage kommt – der kann man nur die Einsicht wünschen, dass sie nicht Richtung Catwalk marschiert, sondern Richtung Holzweg.
    Nur Sie können wissen, warum etwas Sie besonders anzieht. Wenn Sie sich dafür schämen, werden Sie es nie herausfinden, weil Sie dann nicht einmal selbst richtig hinschauen wollen. Ihren Freunden muss das, was Ihnen Freude bereitet, nicht gefallen, sie müssen es nicht einmal verstehen. Sicher haben auch einige Ihrer Freunde Hobbys, die Sie wiederum nicht recht nachvollziehen können. Das Vergnügen des einen ist oft genug des anderen Folter.
    Vogelgezwitscher zum Beispiel. Das ist doch nun wirklich etwas, das praktisch jeder entspannend und erhebend findet. Sollte man meinen. Lassen Sie uns noch einmal kurz durchs psychotherapeutische Schlüsselloch schauen.
    Gerade erzählt der Patient, er könne gar nicht begreifen, dass andere Menschen das Gezwitscher von Vögeln als angenehm empfänden. Ihn ziehe das nur runter.
    Die Therapeutin fragt ihn, was er damit verbinde. Ihn erinnere es an Friedhöfe, meint er. Als Kind habe er ständig mit der Mutter ans Grab der Großmutter gehen müssen. Die Mutter habe damals oft geweint. Er habe sich so hilflos gefühlt, weil er nicht wusste, wie er ihr helfen könne. Und niemand habe ihm erklärt, was überhaupt los war.
    Was sich für andere mit schönen Ausflügen verbindet, mit Spielen im Freien, verbindet sich bei ihm – unbewusst natürlich – mit der schrecklichsten Zeit seiner Kindheit, damals, als die Mutter depressiv war und er Angst hatte, sie auch noch zu verlieren, wie die Oma.
    Millionen schauen sich zum Entsetzen ihrer Mitmenschen das RTL-Dschungelcamp an. Groß war das Erstaunen, als sich herausstellte, dass es sich dabei durchaus auch um gebildete Menschen handelt. Wenn man die unter den Fans befragt, die sich ernsthaft mit ihren Motivationen auseinandersetzen, bekommt man vielleicht zur Antwort, dass sie es spannend finden, mitanzusehen, wie ein berufsmäßiger Selbstdarsteller nach dem anderen im Laufe einer Woche seine Maske verliert und wie dabei der wahre Kern seiner Persönlichkeit bloßgelegt wird.
    Der Journalist Stefan Niggemeier schrieb einmal auf FAZ-NET , der Onlineausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , die Show gewähre »Einblicke in das Innenleben eines Menschen, für die Reinhold Beckmann vermutlich töten würde«. Für andere wiederum ist das lediglich eine Ekelshow, in der abgehalfterte Promis unappetitliche Dinge tun und ihrer Würde beraubt werden. So unterschiedlich sind die Geschmäcker. Und jeder wird einen ganz persönlichen Grund für seine Vorliebe oder Abneigung haben.
    Geben Sie sich Mühe mit sich selbst, geben Sie sich nicht mit billigen Antworten zufrieden. Selbst wenn es um Ihre Fernseh-, Film- oder Lesevorlieben geht. »Weil man da so schön abschalten kann«, ist sicher eine Antwort, die

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