Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
funktioniert dieser Bereich einwandfrei. Sie joggen, betreiben einen Mannschaftssport oder Drachenfliegen, und es macht ihnen Spaß. Das sind die, um die ich mir in dieser Beziehung keine Sorgen machen muss. Die anderen erzählen, dass sie ja eigentlich vorhätten, dies oder das zu tun, dass es aber meist nicht dazu kommt, und dann geben sie gern ein paar Selbstbeschimpfungen aus dem Zitatenschatz des Herrn im Obergeschoss zum Besten.
Wenn ich frage, ob es denn eine Sportart gibt, die ihnen früher einmal Spaß gemacht hat, bekomme ich fast immer eine positive Antwort. Sie hätten früher gern getanzt, aber der Mann sei dazu nicht zu kriegen. Sie seien früher eine leidenschaftliche Wasserratte gewesen, trauten sich mit ihrer Figur nun aber nicht mehr ins Schwimmbad. Wobei Letzteres mit der Figur nur am Rande zu tun hat. Es gibt Menschen, die enorm viel wiegen und dennoch schwimmen gehen. Es gelingt ihnen lediglich, sich selbst und ihre Bedürfnisse wichtiger zu nehmen als ein paar dämliche Jugendliche am Beckenrand, die mit dummen Bemerkungen versuchen, ihr eigenes, altersbedingt labiles Selbstwertgefühl auf Kosten anderer zu stabilisieren.
Absurd wird es dort, wo jemand eine Sportart gefunden hat, die ihm richtig, richtig Spaß macht – von der die Vertreter des Herrn Über-Ich in der Umwelt aber so gar nichts halten. Es gibt Menschen, die mit Hilfe eines Spielkonsolen-Sportprogramms zwanzig Kilo abgenommen haben, die von diesem Programm so begeistert sind, dass sie es jeden Tag mit Vergnügen betreiben. Und die sich dann von ihrer Umwelt anhören müssen, es sei doch viel gesünder, draußen im Wald herumzulaufen, statt im Wohnzimmer auf der Stelle zu traben.
Da sind wir dann wieder bei der Sache mit den Ratschlägen. Die meisten Menschen wissen, dass es Wälder gibt. Menschen wissen auch, dass es Fitnessstudios gibt. Wenn Sie sich zu keinem von beiden hingezogen fühlen, dann deshalb, weil es nicht die zu Ihnen passende Art ist, sich in Bewegung zu setzen. Sich deswegen ein schlechtes Gewissen zu machen, führt lediglich zu mieser Stimmung und schlimmstenfalls zum Selbsthass. Das einzig Wahre ist, herauszufinden, was einem so guttut, dass man es freiwillig immer wieder macht, sodass es sich vielleicht sogar wie eine kleine Sucht anfühlt. Eine kleine, wie gesagt.
Das Schöne am Erwachsensein ist, so viele Möglichkeiten zu haben. Zumindest in unserer Kultur. Solange Sie damit nicht gegen Gesetze verstoßen oder anderen Menschen sonstwie auf die Nerven gehen, haben Sie jedes Recht, sich selbst zu verwirklichen.
Es ist wichtig, das zu tun, und es erhält psychisch gesund. Ich meine damit, dass Sie sich weder von dem Herrn Über-Ich aus dem Dachgeschoss noch von Ihren Mitmenschen einreden lassen sollten, was gut für Sie zu sein hat. Stattdessen sollten Sie sich auf die Suche danach begeben, was Sie als Individuum mit Ihren ganz persönlichen Vorlieben ausmacht.
Sie merken, manche Dinge wiederhole ich gern öfter einmal. Wir sind schließlich keine Computer, wo etwas, einmal eingegeben, unauslöschlich auf der Festplatte sitzt. Bei uns funktioniert es eher wie beim Vokabellernen, wo man ein Wort Hunderte Male wiederholen muss, bevor es Bestandteil unseres Wortschatzes wird.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie selten Menschen wirklich zu dem stehen können, was sie tun. Das zeigt sich vor allem bei Vorlieben in den Bereichen Literatur, Film und Fernsehen. Patienten erwähnen manchmal, sie seien kürzlich im Kino gewesen oder würden gern lesen. In einem Großteil der Fälle reagieren sie auf die schlichte Nachfrage, was genau sie denn im Fernsehen oder im Kino gesehen oder was sie gelesen hätten, so peinlich berührt, als hätte ich nach bevorzugten sexuellen Praktiken gefragt. Plötzlich beginnen die Sätze mit: »Ich traue es mich ja kaum zu sagen«, oder mit »Sie werden lachen«, als sei ich die Feuilletonchefin einer überregionalen Zeitung, die die Nase rümpft, wenn jemand etwas zu lesen wagt, das gut zu einer Schachtel Pralinen passt. Oder sich gar einen Film in einem Kasten ansieht, der ja wohl eigentlich nur in die Wohnung von Menschen gehört, die keiner geregelten Arbeit nachgehen. Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen, dass Sie anspruchsvolle Bücher lesen, anspruchsvolle Filme sehen, ins Theater gehen und Konzerte besuchen, in denen die Menschen ruhig auf ihrem Platz sitzen, statt dicht gedrängt nebeneinanderzustehen und zu sehr lauter Musik das Haupthaar zu schütteln. Es gibt aber
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